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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Tessenow, Heinrich: Das Dach
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0262

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unferm Bemühen um eine möglichft grofje Stilreinheit der Bauformen, oder
hat vielmehr mit der fpeziellen Kultur unferes Empfindens, als mit einer all-
gemeinen Baukultur zu tun.

Es ift ganz befonders das wahllofe Durcheinander unferer üblichen Dachformen,
das jedem nennenswert empfindfamen Menfchen peinigend zuwider fein
mufj, oder das uns, foweit wir das rein Formale unferer Häufer überhaupt als
etwas Wichtiges behandeln, alle fichtbaren Dächer gerne dorthin wünfchen
läfjt, „wo der Pfeffer wächft".

Aber die grofje Verbreitung des fteileren Daches, feine unbedingte Vorherr-
fchaftgegenüberdem flachen Dache hat ihrefehrhandfeftenGründe. Soweit im
nördlichen und mittleren Europa ganz flache Dächer bisher überhaupt gebaut
wurden, nahm man für ihre Eindeckung — neben verfchiedenen Metalldecken
und neben dem fogenannten Holzzement — vorzugsweife die Teerpappe,
die fich vielerorts, befonders auch im nördlichen Deutfchland, für billigfte
Hausbauten weitgehend eingebürgert hat, fo dafj wir dem Teerpappdach pPHM^^K^L
hier grofje Verdienfte zufprechen müffen; aber das ändert nichts an dem, dafj
das fteilere Dach nach wie vor das allgemein bevorzugtefte Dach ift, und

foweit wir nicht den weitaus gröfjten Teil aller Baupraktiker der letjten Jahr- ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^M

zehnte als Dummköpfe anfehen wollen, ift hier die eindeutige und ffarke Bild su lehrerwohnhaus, Landesfdiuie
Bevorzugung des fteileren Daches auch ohne weiteres ein Beweis dafür, dafj Architekt Prof. H. Teffenow
es — hinfichtlich der Bautechnik — im allgemeinen das belfere Dach ift, und
zwar nach wie vor das beffere Dach ift; denn wir haben auf dem Gebiete
der Dacheindeckungen bisher keine Neuerungen, die hier als „durchschla-
gend" gelten könnten. Wir haben als Neuerung nur die verfchiedenen
teerfreien Dachpappen, die für unfere Baupraxis ficher ein grofjer Gewinn
find, aber es wäre eine völlig fchiefe Überwertung der teerfreien Pappe, wenn
wir hier mit dem Hinweis auf fie heute das flache Dach als das überhaupt
befte Dach bezeichnen wollten. Jedenfalls ift hier die gewiffe gröfjere Emp-
findlichkeit, die wir den Hausformen gegenüber mehr und mehr entwickeln,
immer wieder das Wichtigfte und unbedingt auch viel wichtiger als die teer-
freie Dachpappe. Und folange wir für das Eindecken flacher Dächer keine
Deckungsmittel haben, die — einfach wirtfchaftlich genommen — wefentlich
günftiger find als die bisherigen Mittel, wird es fich empfehlen, mit jeder
Begeifterung für flache Dächer vorfichtig umzugehen und — wenigftens ne-
benbei — immer wieder zu verfuchen, ob es uns nicht gelingen will, auch
fteilere Dächer fo zu formen, dafj fie fich — auch den empfindlichften Augen —
als liebenswürdig zeigen.

Wir kommen nicht über die Tatfache hinweg, dafj unfer Dach ganz zuerft die
Aufgabe hat, das Regen- und Schneefchmelzwaffer möglichft fchnell abzu-
leiten, und diefer wichtigften Aufgabe gegenüber hat das fteilere Dach immer
die beffere Grundform, und umgekehrt haben alle unfereflachen Dächer —
das läfjt fich nicht wegphilofophieren — eine Art Grundfehler, auf den hier

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