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Oechelhäuser, Adolf von
Die Miniaturen der Universitäts-Bibliothek zu Heidelberg (Band 2) — Heidelberg, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.1414#0073
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— 66 —

Bilderreihe. Es ist, als ob dem Illustrator in der Mitte der Arbeit die Lust ausgegangen
wäre, gegen den undankbaren Stoff weiter anzukämpfen, denn im Texte selbst liegt diese
Verschiedenartigkeit nicht begründet. Der zweite Theil ist in keinem höheren Grade
ungeeignet zur Illustrirung, als der erste.

Offenbar ist auch in der Eigenartigkeit und Sprödigkeit des Stoffes ein Grund
für die strenge Befolgung des Vorbildes seitens der Copisten zu suchen. Der Ideenkreis,
in dem sich die Illustrationen des wälschen Gastes bewegen, lag den Copisten zu fern,
die Gegenstände der Bilder waren denselben zu fremd, als dass sie sich versucht fühlen
konnten, selbständige Abweichungen zu riskiren. Nur in den Fällen, wo leicht verständliche
Ereignisse des täglichen Lebens, Jagd, Kampf und dergl. geschildert wurden, sehen Avir
denn auch in der Regel tiefer greifende Veränderungen der Vorlage gegenüber vorge-
nommen, im Uebrigen bannte der fremdartige Stoff die Copie streng an das Vorbild.

Dennoch ist dieser Umstand nicht als Hauptveranlassung zu der auffälligen Ueber-
einstimmung aller vorhandenen Mss. zu betrachten, sondern dies conservative Festhalten
an dem einmal aufgestellten Bilderkreise kann als Charakterzug der mittel-
alterlichen Illustrationskunst überhaupt bezeichnet werden.

Auf dem Gebiete der religiösen Bilderkreise lässt sich schon seit vorearolingischer
Zeit das ganze Mittelalter hindurch eine bis zu einem gewissen Grade regelmässige Wieder-
holung- bestimmter Vorwürfe verfolgen; die Freiheit der Bewegung; innerhalb dieser Bilder-
kreise ist jedoch im Allgemeinen grösser, als im vorliegenden Falle. So hat A. Springer z. ß.
bezüglich der Genesis-Darstellungen und der Psalter-Illustrationen des frühen Mittelalters in
überzeugender Weise eine bald engere, bald weitere Verwandtschaft zwischen den Bilderfolgen
der verschiedenen Mss. nachgewiesen*), von einem Archetypus in der Art, wie wir einen
solchen für den wälschen Gast bestimmt haben, kann dort aber nicht die Rede sein.
Ein direktes Copiren lässt sich während der Blüthezeit der Bücher-Illumination nur in verein-
zelten Fällen nachweisen (z. B. das Christusbild in dem Heidelberger Sacramentar und dem
Darmstädter Evangeliar; s. I. Theil, S. 32 f.), für die Illuminatoren des XIII., XIV. und
XV. Jahrhunderts scheint dies hingegen für ganze Stoffgebiete sogar zur Regel geworden
zu sein. Bei einer grossen Anzahl von Erzeugnissen der höfischen und bürgerlich gelehrten
Dichtung des hohen Mittelalters lässt sich nämlich ein ähnliches Abhängigkeitsverhältniss
der jüngeren Handschriften von einem Original-Cyclus wie beim Bilderkreise des wälschen
Gastes, wenn auch nicht in gleicher Strenge und gleichem Umfange, nachweisen, wie wir
denn auch bereits ein ähnliches Verhältniss bei den Illustrationen zum Rolandsliede (s. Theil I,
S. 68) kennen gelernt haben und unten bei der Manesse-Handschrift abermals nachweisen

*) A. Springer, Die Genesisbilder in der Kunst des frühen Mittelalters, im IX. Bande der Abhand-
lungen der pliilol.-hist. Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Leipzig 1884. S. 665 ff.
Von Demselben vorher schon: Die Psalter-Illustrationen im frühen Mittelalter, im VIII. Bande derselben
Abhandhingen etc. Leipzig 1880.
 
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