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EICHSTÄTT
gelegentlich wohl auch zu Ingolstadt,
also Niederbayern, besitzt, ist von
der staatlichen Denkmäleraufnahme
bereits erfaßt.
Die herrliche tönerne Madonna des
Domes, Inventar Tat. VI, VII, aus Buchen-
hüll herversetzt, ist im wesentlichen gewiß
noch ein Werk weichen Stiles. Doch weist
die Veränderung des Umrisses und eine ganz
leise sich hier und da vorbereitende Zu-
sammenziehung von Linien zu größeren
Massen wie auch eine nur allerzarteste An-
deutung von trüberem Ethos und formaler
Kantigkeit in den Köpfen auf die 30 er Jahre
hin. Die Entwicklung zum neuen Stile wird
— vielleicht, ja sehr wahrscheinlich, noch
in der gleichen Werkstatt — völlig sichtbar
an der ebenfalls sehr bedeutenden Sitz-
madonna auf dem Altäre des Frauenchores
von S. Walburg (Terrakotta in Verbindung
mit Holz des Sitzes. Das Kind teilweise
durch neuen Brand nach altem Modell er-
gänzt. Inv. Fig. 201). So sehr der Kopf
der Maria noch „böhmisch“ im Sinne weichen
Stiles wirkt — die ganze Gestaltung der
unteren Partie beweist ein Stilgefühl, nicht
unähnlich dem des bayerischen (tiroli-
schen?) sitzenden Bischofs in Berlin, Vöge
Nr. 62. An Stelle der im Kerne noch
linearen Grammatik des weichen Stiles
ein eigentümliches Zerlaufen des Linearen,
eine Einschmelzung in kachelartig aufge-
höhlte Massen. Ein Vergleich der mitt-
leren Schürzungspartie mit der bei der
Buchhüller Madonna, sehr nützlich für das Einzelstudium, lehrt die unmittelbare Abkunft, wahrscheinlich die
Entwicklung in einer Werkstatt. Das Inventar datiert beide Werke „um 1400—-1410“. Das von S. Walburg muß
etwa den 40er Jahren angehören; es bietet (trotz des zweifellos zurückgebliebenen Stiles im Kopfe Marias) eine
nur wenig ältere Parallele zu dem Berliner Krönungsfragmente. Das Bild der Terrakottakunst bereichert sich durch
die Eichstätter Gruppe sehr bedeutend. Diese Gruppe hat mit der von Nürnberg, Reichenbach, Höhengebraching,
mit der niederbayerischen, keinerlei Zusammenhang. Ihr fehlt jeder Hauch von Manierismus. Sie ist ein Beispiel
wundervoll feiner stetiger Abwandlung unter unvermerkter Mitarbeit barocken Gefühles. Eine gänzlich andere
Richtung war uns in den (späteren) Figuren vom nördlichen Domportal entgegengetreten, eine eindörrende, spröde
und knisternde Formgebung. Das war Bauplastik (vgl. oben S. 271). Sie ist immerhin mit Einzelheiten ihrer
Form noch fühlbar in der Mantelmaria des Domes (Inv., Fig. 50). Diese mag schon 1470 (keinesfalls „1520—30“)
entstanden sein und ist gewiß nicht erster Qualität. Aber sie kann durch das Hineinragen von Stilelementen
der dunklen Zeit interessieren (die Knickung im Faltendreieck der Maria!).
Von ganz anderer Energie ist die neue Bewegung in Nürnberg — wenn auch alles andere als
einheitlich. Für den Übergang von den dreißiger zu den vierziger Jahren ist nur ein Zug gemein-
sam dem Wenigen, aber in sich verschiedenen, das uns erhalten ist: es ist der Sinn für Volumen.
Er läßt sich in der Stein- wie in der Holzplastik verfolgen, und er ist ja schließlich nichts anderes,
als eine spezifisch nürnbergisch gefärbte Form des um 1440 allgemein zu beobachtenden tektoni-
schen Gefühles. Dieses selbst gehört zur Abwendung vom weichen Stile. Die mehr manieristische
282. Madonna, S. Walburg-Eichstätt.
EICHSTÄTT
gelegentlich wohl auch zu Ingolstadt,
also Niederbayern, besitzt, ist von
der staatlichen Denkmäleraufnahme
bereits erfaßt.
Die herrliche tönerne Madonna des
Domes, Inventar Tat. VI, VII, aus Buchen-
hüll herversetzt, ist im wesentlichen gewiß
noch ein Werk weichen Stiles. Doch weist
die Veränderung des Umrisses und eine ganz
leise sich hier und da vorbereitende Zu-
sammenziehung von Linien zu größeren
Massen wie auch eine nur allerzarteste An-
deutung von trüberem Ethos und formaler
Kantigkeit in den Köpfen auf die 30 er Jahre
hin. Die Entwicklung zum neuen Stile wird
— vielleicht, ja sehr wahrscheinlich, noch
in der gleichen Werkstatt — völlig sichtbar
an der ebenfalls sehr bedeutenden Sitz-
madonna auf dem Altäre des Frauenchores
von S. Walburg (Terrakotta in Verbindung
mit Holz des Sitzes. Das Kind teilweise
durch neuen Brand nach altem Modell er-
gänzt. Inv. Fig. 201). So sehr der Kopf
der Maria noch „böhmisch“ im Sinne weichen
Stiles wirkt — die ganze Gestaltung der
unteren Partie beweist ein Stilgefühl, nicht
unähnlich dem des bayerischen (tiroli-
schen?) sitzenden Bischofs in Berlin, Vöge
Nr. 62. An Stelle der im Kerne noch
linearen Grammatik des weichen Stiles
ein eigentümliches Zerlaufen des Linearen,
eine Einschmelzung in kachelartig aufge-
höhlte Massen. Ein Vergleich der mitt-
leren Schürzungspartie mit der bei der
Buchhüller Madonna, sehr nützlich für das Einzelstudium, lehrt die unmittelbare Abkunft, wahrscheinlich die
Entwicklung in einer Werkstatt. Das Inventar datiert beide Werke „um 1400—-1410“. Das von S. Walburg muß
etwa den 40er Jahren angehören; es bietet (trotz des zweifellos zurückgebliebenen Stiles im Kopfe Marias) eine
nur wenig ältere Parallele zu dem Berliner Krönungsfragmente. Das Bild der Terrakottakunst bereichert sich durch
die Eichstätter Gruppe sehr bedeutend. Diese Gruppe hat mit der von Nürnberg, Reichenbach, Höhengebraching,
mit der niederbayerischen, keinerlei Zusammenhang. Ihr fehlt jeder Hauch von Manierismus. Sie ist ein Beispiel
wundervoll feiner stetiger Abwandlung unter unvermerkter Mitarbeit barocken Gefühles. Eine gänzlich andere
Richtung war uns in den (späteren) Figuren vom nördlichen Domportal entgegengetreten, eine eindörrende, spröde
und knisternde Formgebung. Das war Bauplastik (vgl. oben S. 271). Sie ist immerhin mit Einzelheiten ihrer
Form noch fühlbar in der Mantelmaria des Domes (Inv., Fig. 50). Diese mag schon 1470 (keinesfalls „1520—30“)
entstanden sein und ist gewiß nicht erster Qualität. Aber sie kann durch das Hineinragen von Stilelementen
der dunklen Zeit interessieren (die Knickung im Faltendreieck der Maria!).
Von ganz anderer Energie ist die neue Bewegung in Nürnberg — wenn auch alles andere als
einheitlich. Für den Übergang von den dreißiger zu den vierziger Jahren ist nur ein Zug gemein-
sam dem Wenigen, aber in sich verschiedenen, das uns erhalten ist: es ist der Sinn für Volumen.
Er läßt sich in der Stein- wie in der Holzplastik verfolgen, und er ist ja schließlich nichts anderes,
als eine spezifisch nürnbergisch gefärbte Form des um 1440 allgemein zu beobachtenden tektoni-
schen Gefühles. Dieses selbst gehört zur Abwendung vom weichen Stile. Die mehr manieristische
282. Madonna, S. Walburg-Eichstätt.