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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0011

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EINLEITUNG

Dürer war der erste deutsche Maler an der Wende des 15. zum 16. Jahrhundert, der Kunst mit Theorie ver-
einigte und seinen Studien und Erkenntnissen in Lehrschriften Ausdruck verlieh. Neben Dürers Bildwerk
steht ein umfangreiches Schriftwerk und beides zusammen betrachtet, ergibt erst einen vollständigen Inbegriff
von seiner künstlerischen Persönlichkeit und den geistigen Absichten.

Der schaffende Künstler Dürer war gleichzeitig auch ein tiefsinniger Kunstdenker, der aus der spätgotischen
Tradition her kam und in geistige Verbindung trat mit der Kunstlehre der Antike und den Renaissance-
Bestrebungen in Italien. Neben diesen entwickelte und formulierte er seine Gedanken mit dem Ziel, die als
unsicher empfundene Empirie des heimatlichen Werkstattbetriebes durch feste theoretische Grundlagen zu
ersetzen, die praktische Kunstübung durch erkenntnismäßige Überlegungen zu fundieren und zu stützen und
ein neues Aufblühen vornehmlich der deutschen Malerei und Graphik zu bewirken.

Dürers erste denkerische Überlegungen über Kunst und Kunstlehre sind ihm wahrscheinlich schon in Italien
1494/95 ocLr bald danach gekommen. Den Weg in die Schrift fand dieses Denken erst später. Die frühesten
schriftlichen Äußerungen sind seit 1500 nachweisbar. In größerem Umfang kommen Niederschriften seit der
Rückkehr von der zweiten Italienreise 1505/07 hervor, nadidem Dürer den Plan entworfen hatte, ein großes
Lehrbuch der Malerei abzufassen. An den darauffolgenden und nahezu drei Jahrzehnte währenden theoreti-
schen Arbeiten undBemühungen kann man beobachten, wie Dürer die Probleme, die seit mehr als einemjahr-
hundert die italienische Kunstwelt beschäftigt hatten und nunmehr auch für ihn selbst in den Mittelpunkt des
theoretischen Interesses getreten waren, in seinem rastlosen Geist durchdenkt und einer Lösung näherzubringen
versucht. Was dabei an theoretischen Aufzeichnungen in der folgenden Lebenszeit zustande kam, gehört stellen-
weise zum Tiefsten, was iiber bildende Kunst geäußert worden ist, und Dürers kunsttheoretisches Denken ist
im Rahmen der Epoche zweifellos einzigartig. Es übertrifft auch das meiste, was gleichzeitige Italiener ge-
sagt haben.

Die Grundlage von Dürers Wissenschaftslehre war einerseits noch die mittelalterlich-biblische Überzeugung,
daß der Weltschöpfer alles geordnet habe mit Maß, Zahl und Gewicht, andererseits, daß der verständige Künst-
ler vom Geiste Gottes erfüllt sei und dadurch eine Gleichheit bestünde zum Weltschöpfer. Die Kunst der
Messung, d. h. eine Gestalt mit Zirkel und Richtscheit im richtigen Zahlenverhältnis sinnreich zu konstruieren,
ist daher auch der „recht (richtige) Grund“ aller Malerei. Es geht um das Herausfinden und Erkennen der
richtigen Maß- und Zahlverhältnisse, die der Schöpfer hauptsächlich in sein Ebenbild, die Menschengestalt,
hineingelegt hat. Selbstverständlich setzen ein solches Bemühen und Planen bereits ein großes Vertrauen in die
Macht des menschlichen Verstandes voraus. Aber die tragenden Fundamente von Dürers künstlerischem und
literarischem Schaffen waren und blieben spätmittelalterlich religiös-ethische1.

Seit der Aufnahme seiner Studien befaßte sich Dürer nicht zu allen Zeiten gleich intensiv mit theoretischen
Fragen und Problemen. Auch variieren Art und Richtung der Bemühungen. Im Vordergrund stand aber stets
das Bildschaffen. Seine Wesensmerkmale korrespondieren mit den Eigenschaften und Richtungen der gedank-
lichen Arbeit.

Die Lebensperiode von 1500 bis 1505 galt der Organisation und Systematik des Kunstschaffens. Wie den
Künstler beschäftigten auch den Theoretiker außer den Perspektiv- und Architekturstudien immer eindring-
licher Wesen und Gestalt des Menschen. Neben dem Menschen befaßte er sich mit der Konstruktion von
Pferden. In allem war er bestrebt, die Ordnungsgesetze der geschaffenen Welt zu ergründen.

1 Vgl. H. Schrade, Die religiösen Grundlagen von Dürers Schriften zur Kunst, Zeitschrift für deutsche Bildung 10 (1934),
S. 22—29; H. Rupprich, Dürers Stellung zu den agnoetischen und kunstfeindlichen Strömungen seiner Zeit, Sitzungs-
berichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 1959, Heft 1.

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