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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0282

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II. DAS LEHRBUCH DER MALEREI

3. DIE KONSTRUKTION EINZELNER KÖRPERTEILE
a. DES MENSCHLICHEN KOPFES

Nach der Konstruktion des Gesamtkörpers von Mann und Frau mit ihren Maßresultaten in verschiedenen
Typen wollte Dürer im „Lehrbuch der Malerei“ im Kapitel „Von der Maß der Menschen“ gesondert und
eingehender Spezialkonstruktionen und Vermessungen der ausdrucksvollsten Körperteile behandeln: des
Kopfes von Mann und Frau, der Hand und des Fußes des Mannes. Den Ausführungen zugrunde gelegt
wurden dabei, abgesehen von Modellabmessungen, die Gliedmaßen der 8-Kopf-Typen.

Die Konstruktion des menschlichen Kopfes war schon bei den frühen Proportionsstudien Dürers eines seiner
Hauptthemen. Da es dabei prinzipiell um die perspektivische Darstellung eines komplizierten dreidimen-
sionalen Objektes geht, waren diese Bemühungen verbunden mit Dürers Studien zur Umsetzung von Raum-
und Körperverhältnissen auf die Bildfläche.

Bei der Anleitung zur Konstruktion eines männlichen Kopfes aus der Zeit um 1500 (Kap. I A, Nr. 7)
wurden die drei Risse noch ohne Zuhilfenahme von durchgehenden Parallelen hergestellt. Etwas später
bediente sich Dürer eines auf der Parallelprojektion beruhenden Verfahrens, wie es die deutschen Bau-
hütten anwandten und das in Italien bei Piero de’Franceschi auf Köpfe angewendet literarisch nach-
weisbar ist.

In der Zeit nach der Rückkehr Dürers aus Italien begegnet im Jahre 1508 auf den Bll. London 5231,
fol. 6-12 (Kap. II C 2, Nr. 5), eine zwar auf dem gleichen Prinzip beruhende, aber von Dürer verbesserte
Konstruktion des Kopfgrundrisses, die er den „Übertrag“ nennt. Sie geschieht in folgender streng mathe-
matischer Weise: Zuerst wird der Profilkopf in ein Quadrat gestellt, in dem sowohl die Horizontal- wie
Vertikalmaße der einzelnen Kopf- und Gesichtsteile durch ein Netz senkrechter und waagrechter Linien
bestimmt sind. Als zweites wird die Faceansicht in ein danebenstehendes gleichhohes gleichartig behan-
deltes Rechteck gestellt. Aus der Seiten- und Vorderansicht mit allen einzelnen Teillinien wird im Sinne
der darstellenden Geometrie durch direkte und über einen Winkel von 45 Grad geleitete Übertragung in
einem unter dem Profilkopf-Quadrat liegenden Rechteck der Kopfgrundriß gebildet. Bei diesem Verfahren
wird die Ubertragung der Breitenwerte des Facekopfes mit dem Zirkel überflüssig, da die zwei von gleichen
Punkten der Risse ausgehenden Parallelen mit ihren Schnittpunkten die Stelle der entsprechenden Punkte
im Grundriß angeben.

Bei den Kopfaufnahmen auf den erwähnten Londoner Blättern bezeichnet Dürer das Koordinatensystem
des quadratischen Netzes mit Buchstaben. Da dieselbe Einrichtung und Gepflogenheit auch in Luca Paciolis
Traktat „De architectura“, Kap. 1 und 2, vorkommt1, schloß H. Brockhaus2, Dürer habe das System der
rechtwinkeligen Einteilung von den Italienern übernommen. Demgegenüber wies Panofsky3 nach, daß diese
Eigentümlichkeit in Deutschland bereits zwei Jahrzehnte vor Pacioli in der vor 1490 gedruckten „Geometria
deutsch“ gelehrt wurde, in der die Profilansicht eines Stechhelmes in derselben Weise konstruiert ist, wie
Dürer seine Köpfe zeichnet: aus dem Quadrat und mit Hilfe von Horizontalen und Vertikalen, die mit
Buchstaben bezeichnet sind.

Sowohl das Verfahren der Konstruktion des Kopfrisses mit Hilfe des „Übertrages“ wie die letztere Ein-
richtung behielt Dürer fernerhin bei und übernahm sie schließlich in den Druck der Lehre von menschlicher
Proportion 1528.

Die im folgenden zusammengefaßten Niederschriften und Zeichnungen behandeln zunächst allgemein die
Herstellung der drei Risse eines dreidimensionalen Objektes mit Hilfe der Parallelprojektion und ver-

1 Ed. Winterberg, S. 296 fT.

2 Einleitung zur Ausgabe des Gauricus, S. 28.

3 AaO, S. 50.

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