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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0062

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I. ANFÄNGE DER THEORETISCHEN STUDIEN

C. STUDIEN ZUR ARCHITEKTUR.

Im Mittelalter lag die Baukunst in den Händen der Bauhütten, d. h. der genossenschaftlichen Verbände der
Steinmetzen. Ihre Kunstregeln waren ein Werkstättengeheimnis, das nicht verraten werden durfte. Beson-
ders befähigte Meister betätigten sich als Architekten, ausnahmsweise auch als Bildhauer und Maler.
Andererseits kam es wohl gleichfalls nur als Ausnahme vor, daß ein Maler sich auch als Baumeister betätigte.
Erst die Renaissance brachte in Alberti, Leonardo, Dürer, Michelangelo u. a. universale Künstlerpersön-
lichkeiten hervor, die Maler, Bildhauer und zugleich Architekten waren.

Dürer stand bereits als Goldschmiedlehrling im teilweisen Bereich der Tradition der spätgotischen Bau-
hütten und suchte auch noch später, durch den Umgang mit Mitgliedern wie den kaiserlichen Baumeister
Johannes Tschertte seine Kenntnisse zu erweitern. In der Heimat und auf seinen Reisen in Deutschland
und Italien hatte Dürer Gelegenheit, die mannigfachsten Bauformen zu sehen. Um 1500 kam er auf den
Gedanken, im Bildwerk an Stelle von landschaftlichen Hintergründen solche mit Bauwerken zu verwenden.
Dabei ist die Einführung der architektonischen Veduten auch eine Folge seines damals betriebenen Kon-
struierens schlechthin. Wie er Akte konstruierte, konstruierte er auch Raumbilder.

Freilich besteht, wie Winkler zutreffend ausführt1, zwischen der Bedeutung des konstruierten Aktes und
den konstruierten Raumgebilden als Bildfaktoren ein erheblicher Unterschied. In der konstruierten Men-
schengestalt wird die Form des Werkes neu organisiert, in den Raumgebilden wird es in ein neues Gewand
gekleidet.

Die Wendung vom landschaftlichen Element zu den architektonischen Veduten fällt zeitlich zusammen mit
Dürers erster Periode seiner Studien zur Proportion des Menschen. Die etwa 17 Holzschnitte des Marien-
lebens, die er von 1502 bis 1504 veröffentlichte, und die Zeichnungen der Grünen Passion von 1504 hat
Dürer so reich mit Bauten und Innendekor ausgestattet, daß sich diese Werke von den früheren ganz deut-
lich unterscheiden. Das gleiche gilt für die denselben Jahren entstammenden Altarwerke, den Paumgartner-
und den Dreikönigsaltar.

Einzelne antik-renaissanceartige Architekturelemente erscheinen, falls man die Säule auf der Geißelung
Christi als solches gelten läßt, zuerst in der Albertina-Passion um 1494/952. Es wäre dasselbe Blatt, auf
dem auch die früheste Anwendung der Perspektive nachgewiesen wurde. Ebenso finden sich Säulen in der
um 1498 angesetzten Geißelung (T 149) und der Geißelung von 1502 (T201)3. Ganz deutlich dominiert
die Architektur überhaupt in der Darstellung des Tempelganges um 1502 (T 203) und der Verehrung
Mariae (T 204), datiert zwischen 1497 und 1502. Ferner in Zeichnungen und Holzschnitten, wie die Ver-
mählung Mariae um 1504 (T 266), die Zeichnung Christus vor Pilatus von 1504 (W 303), die Aufopferung
im Tempel um 1505 (T 278), der zwölfjährige Jesus im Tempel um 1505 (T 279) und in der Architektur
des Kaiphas- und Pilatu§hauses in der Grünen Passion (W 302, 304, 307). Dazu kommt die Säule auf dem
Kupferstich „Das große Pferd“ von 1505 (T 282). Beherrschendes Wissen um die antikisierende Baukunst
der Renaissance zeigt schließlich in einmaliger Art die Zeichnung „Kreuztragung Christi“ (W 580). Hier
komponierte Dürer die Kreuztragung mit einer großen Bautengruppe im Renaissancestil zusammen. Die
Gebäude waren zuerst und für sich da. Die figürliche Komposition ist das Sekundäre. Die Datierung des
Blattes schwankt zwischen 1506 und 1511. All das setzt ausgedehnte theoretische Studien und Konstruk-
tionen voraus.

1 Dürer, S. 149.

2 Meder, aaO, S. 119.

3 Vgl. K. Rapke, Die Perspektive und Architektur auf den Dürer’schen Handzeichnungen, Holzschnitten, Kupfer-
stichen und Gemälden (Straßburg 1902; Studien zur deutschen Kunstgeschichte 39)’ U-* Schuritz, Die Perspektive in
der Kunst Dürers (Frankfurt 1919).

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