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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0358

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II. DAS LEHRBUCH DER MALEREI

E. VON DER MASS DER GEBÄUDE

In organischer Weiterbildung der frühen eigenen Interessen für Architektur und Baukunst sowie ifn Sinne
der italienischen Renaissanceauffassung wollte Dürer in das Lehrbuch der Malerei nach Ausweis der
Inhaltsverzeichnisse ein selbständiges Kapitel über die „Maß der Gebäude“ aufnehmen: der nach neuer
Art ausgebildete Maler sollte auch über die Proportionen der Bauwerke unterrichtet werden und über eine
gewisse Summe architektonischen Wissens verfügen1.

Was durch ältere Anregungen und das Vitruv-Studium bei Dürer schon vorhanden war, wurde durch die
zweite Italienreise verstärkt und erweitert. Auch mag durch die Bekanntschaff mit Albertis Drei Büchern
über die Malerei ein Wandel in der Anschauung hinsichtlich der Position der Malerei innerhalb der Ent-
wicklung der Künste eingetreten sein. Während Vitruv I i, i, die Architektur als die Lehrerin aller Künste
betrachtete, spricht Alberti in vermutlich direkter Polemik gegen den antiken Theoretiker eben dieselbe
Stellung der Malerei zu: „Wenn ich mich nicht irre, nahm der Architekt von niemand Anderem als dem
Maler die Architrave, die Basen, die Kapitäle, die Säulen, die Gesimse und ähnliche andere Dinge herüber,
und Regel und Kunst des Malers leitet jeden Handwerker und jeden Bildhauer, jede Werkstätte und jedes
Atelier“2. Tritt man dieser Auffassung bei, so gehört in ein umfassendes Lehrbuch der Malerei auch ein
Kapitel, das die genannten Architekturelemente behandelt. Leider haben wir keine Untergliederung des
Abschnittes „Von der Maß der Gebäude“ erhalten.

Als Dürer um 1513 die Ausarbeitung des universalen Malerbuches zurückstellte, blieben außer den hierfür
bestimmt gewesenen Perspektivstudien auch die Vorarbeiten für das Architekturkapitel einstweilen liegen
und wurden einige Zeit nicht weitergeführt. Erst als Dürer nach 1523 die Abfassung einer Unterweisung
der Messung beschloß, nahm er aus den vorhandenen Malerbuch-Materialien in dieses die allgemeinen
Grundlagen gebende Einführungswerk auf, was ihm verwendbar schien. Einige der folgenden Nieder-
schriflen sind daher bereits Entwürfe für den betreffenden Abschnitt der Meßkunst.

Andere Vorarbeiten und Uberlegungen, die ursprünglich für das Malerbuch gedacht waren, sind in den
„Unterricht zur Befestigung der Städte, Schlösser und Flecken“ (1527) eingegangen. Ohne die rund zwei
Jahrzehnte vorausliegenden Interessen für Fragen der Baukunst und des Bauhandwerkes hätte Dürer dieses
Buch unmöglich in so kurzer Zeit abzufassen und zum Druck zu bringen vermocht.

Dürer betrieb die Architekturstudien nicht lediglich zum Zwecke der Darstellung von Architekturprospek-
ten und Bauelementen in seinen Zeichnungen und Gemälden, sondern auch als entwerfender Baufachmann.
Er war, wie wir aus dem Gutachten über die Bedachung der Klosterkirche Gnadenberg (1517; Bd. I,
S. 2i8ff.) und dem Brief der Charitas Pirckheimer (vom 3.9. 1518; Bd. I, Nr. 27) erfahren, gelegentlich
als beratender Bauverständiger tätig. Auf der Reise in die Niederlande wurde er nicht müde, die hervor-
ragenden Bauwerke zu bewundern und sich in die Architektur des Landes und der Städte, in die er kam,
zu vertiefen. Und nachdem er in der Unterweisung der Messung 1525 im 3.Buch die Konstruktion von
Säulen, die Errichtung eines Turmes u. a. gelehrt hatte, trat er in einem besonderen Zweige der Baukunst,
als Fortifikationsarchitekt auf und gab unter dem Eindruck der Türkengefahr für die Praxis bestimmte
Anweisungen zum Bau von Basteien, über die Befestigung eines Schlosses, eines Passes, die Planung und
fortifikatorische Sicherung einer ummauerten Stadt.

Bedauerlicherweise ist nur eine einzige der in diesem Kapitel vereinigten Studien auf der Rückseite von

1 Welche Rolle das Bauwesen damals in Dürers Kunst-Denken einnahm, bezeugt die Aufnahme der Arbeiten der
Steinmetzen und Maurer bzw, der Bestandteile einer Bauhütte in den Kupferstich „Melancholie“ (1514). Vgl. Winkler,
Dürer, S. 242.

2 Ed. Janitschek, S. 90 und 233.

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