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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0078

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I. ANFÄNGE DER THEORETISCHEN STUDIEN

D. STUDIEN 2UR PERSPEKTIVE.

Die Perspektive ist bekanntlich eine Entdeckung der Griechen. Gegen Ende des 6. Jhs. v. Chr. fanden
sie die Körper-Perspektive, d. h. die Darstellung von Figuren in Verkürzungen und Schrägansichten. Von
dieser gelangten sie im späten 5. und 4. Jh. zur Raumperspektive. Zur Linear- oder Zentralperspektive,
d. h. Vereinheitlichung der Fluchtlinien in einen einzigen Fluchtpunkt, kamen sie nicht. Auch die gesetz-
mäßige Konstruktion der Perspektive war der antiken Malerei unbekannt.

Da es im Mittelalter den Malern um eine spannungserfüllte Fläche zu tun war, lag ihnen wenig am Tief-
raum. Es wurden daher die antiken Perspektiv-Elemente auch nicht weiter entwickelt. Erst die Renaissance
hat die Zentralperspektive erfunden. Die Erfindung wurde vorbereitet durch die Raumdarstellungen
Giottos, Duccios und der Brüder Lorenzetti, die bereits die Bedeutung der Fluchtpunkte kannten. Nachdem
sich die Vorstellung des malerischen Tiefraumes immer mehr gefestigt hatte, kam es um 1420 in Florenz
zur Entdeckung der mathematischen Konstruktion der Perspektive, wahrscheinlich durch Filippo Brunel-
leschi. Theoretisch gegründet war das Verfahren auf die Optik Euklids.

Inzwischen hatten aber auch die französische und besonders die niederländische Malerei, allen voran Jan
van Eyck, bedeutende Fortschritte in der Raum-Perspektive gemacht, ohne allerdings zur Zentralperspek-
tive vorzudringen.

Nachdem in Italien Masaccio in seinen Fresken um 1426/27 die ersten einheitlich zentralperspektivisch
durchkonstruierten Bilder geschaffen hatte, bot Leone Battista Alberti in seine drei Büchern „De pictura“
(1435/36) eine Erläuterung der Grundbegriffe der Perspektive. Entsprechend der griechisch-arabischen
Optik des Mittelalters gibt die Schrifb im ersten Teil die wissenschaftlichen Voraussetzungen der Linear-
und Reliefperspektive. Alberti beginnt mit den Definitionen der Euklidischen Geometrie und Anfangs-
gründen der Optik und geht darauf zu den Gesetzen des perspektivisch genauen Zeichnens über. An die
Geometrie und Optik wird eine Farbenlehre, Linien- und Farbenperspektive geknüpft: und die Abbildung
von Körpern auf einer Fläche behandelt1.

Die Bestrebungen Albertis wurden in neuem und tieferem Sinne aufgenommen durch Piero de’Franceschi
um 1420 Borgo San Sepolcro, f 1492 das.). Sein Traktat „De prospectiva pingendi“ (entstanden ital.
1484/87, bald darauf ins Lateinische übersetzt) ist das erste vollständige Lehrbuch der malerischen Per-
spektive2. Von den drei Teilen des Werkes ist der erste den Anfangsgründen der Perspektive und ihrer
Anwendung auf die Abbildung einfacher geometrischer Figuren auf einer Ebene gewidmet; der zweite
lehrt die perspektivische Wiedergabe regelmäßiger Körper, der dritte die Wiedergabe unregelmäßiger
Körper und unter verschiedenen Gesichtspunkten gesehener räumlicher Gebilde. Die Abhandlung wendet
sich an einen hypothetischen Schüler und führt ihn in systematischer Weise dazu, mit Hilfe von Lineal
und Zirkel alle Einzelheiten eines Körpers perspektivisch genau aufzunehmen.

Eine besondere perspektivische Schule existierte in Padua. Ihr wissenschaftlich unvollkommenes Verfahren
wird von Pomponius Gauricus in „De sculptura“ IV (entstanden 1503, gedruckt 1504) beschrieben3.

Von allen italienischen Kiinstlern der Renaissance zu Dürers Zeit waren in der Praxis Mantegna, Jacopo
Bellini, Carpaccio u. a. eifrig der Perspektivlehre ergeben. Die tiefsten theoretischen Einsichten freilich
verdankt man auch hier Leonardo da Vinci. Sein Buch von der Malerei enthält in den überlieferten Auf-
zeichnungen ausführliche Partien über die „Lehre vom Sehen“.

1 Vgl. L. Olschki, Geschichte der neusprachlichen wissenschaftlichen Literatur, S. 60; Schlosser, Die Kunstliteratur,
S. 108 ff.; ders., Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-hist. Kl. 210 (1929), 2. Abh.

2 Olschki, aaO, S. 144. Die Schrift ist hrsg. von C. Winterberg, Petrus pictor Burgensis De prospectiva pingendi. Nach
diem Codex der Kgl. Bibliothek zu Parma nebst deutscher Übersetzung zum ersten Male veröffentlicht, 2 Bde. (Straß-
burg 1899), und G. Nicco Fasola, 2 Bde. (Florenz 1942); vgl. ferner K. Clark, Piero de’Francesca (London 1951);
Schlosser, Die Kunstliteratur, S. 122 ff.; ders., Wiener Sitzungsberichte 24 (1933), 5. Abh.

3 Flrsg. von H. Brockhaus (Leipzig 1886), S. 192 ff.

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