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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0059

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B. DIE PROPORTION DES PFERDES

B. DIE PROPORTION DES PFERDES.

Schon in der ersten Periode seiner Studien zur Proportion des Menschen befaßte Dürer sich auch mit der
Konstruktion von Pferden. In Italien hatte dies Leonardo da Vinci getan und ein Buch über Pferdeanatomie
ausgearbeitet. Dieses Werk, das vermutlich Leonardos Pferdeproportionslehre enthielt, ging nach den
Berichten von Lommazo und Vasari beim Einfall der Franzosen in Mailand 1499 verloren.

Dürer begann anscheinend um 1500 oder bald danach, sich mit der Proportion der Pferde zu beschäftigen.
Ob damals auch Texte dazu entstanden, wissen wir nicht, denn so ziemlich das gesamte zur Konstruktion
der Pferde zustande gekommene Studien- und Konzeptmaterial wurde Dürer entwendet. Wir erfahren
diese Tatsache zwar nicht von ihm selbst, wohl aber aus einem zeitgenössischen Bericht des Joachim Came-
rarius. Dieser erzählt in der Vorrede an die Benützer seiner Übertragung von Dürers Proportionslehre ins
Lateinische „De symmetria partium humanorum corporum“, Nürnberg 1532 (Übersetzung von Budi I
und II), folgendes1:

Gewisse Personen versprechen in Reden und Schriften dem Volk ein Büchlein von Dürer „de symmetria
partium in equorum corporibus“. Dürer hatte zwar auch auf diesem Gebiet theoretische Studien angestellt
und Messungen durchgeführt, sie jedoch nicht abgeschlossen. In Wahrheit habe Dürer das bereits zustande
gekommene Material infolge Unredlichkeit gewisser Menschen, durch die ihm die Notizen (commentarii)
heimlich entwendet wurden, verloren, und mochte nachher den Gegenstand niemals mehr von vorne
angehen. Dürer wußte genau, von woher die Drohnen (fuci) in seine Arbeiten eingeflogen waren, aber der
gute Mann wollte lieber seinen schmerzvollen Verlust verbergen, als durch Belangung der Diebe die Milde
und Sanftmut vergessen. Daher, was immer im Druck erscheinen mag, man wird nicht dulden, daß es mit
Dürers Autorschaft zusammengebracht werde, weil es offenkundig unentsprechend sein wird einem so großen
Künstler. Vor einigen Jahren kam ebenfalls eine kleine Schrift in deutscher Sprache heraus, die zusammen-
gebettelte und kaum zusammenpassende Regeln2 über diesen Gegenstand enthält. Camerarius will zur Zeit
darüber nicht weiter reden, glaubt aber, sie habe den Urheber nicht erst 1 mal (semel) gereut.

Wer die Personen waren, die 1532 das Erscheinen einer von Dürer stammenden Schrift über die Proportion
des Pferdes in Aussicht stellten, ist nicht mit unbedingter Sicherheit anzugeben. Der Herausgeber der vor
„einigen Jahren“ erschienenen Schriffc über die Proportion der Pferde war Hans Sebald Beham. Gemeint ist
seine „Proporcion der Roß“ (Nürnberg, Friedrich Peypus, Ende August 1528).

Beham wollte im Juli 1528 ein Buch über die „Proportionen“ bei dem Drucker Hieronymus Andreae
herausgeben. Auf Grund einer Beschwerde, offenbar von Agnes Dürer, untersagte der Rat den beiden
dieses Vorhaben, bis Dürers Werk „Von menschlicher Proportion“ erschienen sei. Beham rekurrierte und
wollte wenigstens eine „Proportion der Pferde“ veröffentlichen. Doch auch dies verbot der Rat. Als das
letztere Buch trotzdem erschien, verfügte der Rat ein Verkaufsverbot, die Verhaftung Behams und Beschlag-
nahme der Exemplare und Druckformen. Obschon man den Widerspensigen bereits gefaßt hatte, gelang
es ihm dennoch, mit Hinterlassung seines Rockes aus Nürnberg zu flüchten3.

Mit diesen vier Jahre zurückliegenden Publikationsplänen Beham-Andreaes und dem anschließenden Kon-
flikt hängt offenbar auch das 1532 von unbefugter Seite in Aussicht gestellte Erscheinen eines Buches von
Dürer über die Pferdeproportion zusammen. Und da man die dahinter stehenden Personen kaum weit von
Beham und Andreae entfernt wird suchen müssen, so zielt der Vorwurf des Diebstahles der Entwürfe

1 Im lateinischen Wortlaut ahgedruckt Bd. I, S. 310 f.

2 commendicatas et inconvenientes fere praeceptiones. Vgl. zur richtigen Übersetzung J. Kurthen, Repertorium für
Kunstwissensdiaft 44 (1924), S. 77.

3 In obigem Sinne ist auch der Kommentar zum Bericht des Camerarius in Bd. I, S. 310 f., unserer Ausgabe richtig
zu stellen. Zu der zitierten wissenschaftlichen Literatur ist hinzuzufügen: A. Bauch, Repertorium für Kunstwissen-
schaft 20 (1897), S. 198 ff.

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