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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0060

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I. ANFÄNGE DER THEORETISCHEN STUDIEN

Dürers zu diesem Thema wohl hauptsächlich auf Hans Sebald Beham. Beham ist 1500 zu Nürnberg geboren,
war Schüler von Dürer und lebte seit 1531 in Frankfurt a. M. Die Entwendung mußte längere Zeit vor
Dürers Tod erfolgt sein.

Abgesehen von der kaum anzweifelbaren Glaubwürdigkeit des hochgeachteten Philologen und Melanch-
thonianers Camerarius, stimmt mit dieser Nachricht über den Diebstahl der Commentarii Dürers zur
Proportion der Pferde die Tatsache überein, daß sich im gesamten erhaltenen schriftlichen Nachlaß Dürers
außer zwei zufälligen Ausnahmen keine Materialien und Vorarbeiten zu diesem Interessengebiet befinden.

Um sich über den Charakter der Studien Diirers eine Vorstellung bilden zu können, ist man auf die Analyse
der erhaltenen konstruierten Pferde-Stiche und -Zeichnungen angewiesen. Es sind dies:

1. Das Pferd des „Hl. Eustachius“ aus der Zeit von 1500/01 (T 182).

2. Reiter mit Lanze (W 255) von 1502.

3. Die Zeichnung von 1503 (W 360 und 361).

4. Pferd nach rechts (W 247). Von Winkler um 1505, von Panofsky, Dürer II, 1670, um 1502 datiert.

5. Falkenjäger zu Pferde (W 256). Von Winkler nach 1503, von Panofsky (1673) um 1512 datiert.

6. Der Kupferstich des Kleinen Pferdes von 1505 (T281).

Nach H. David4 stellt das Pferd des Hl. Eustachius „die rein schematische Anwendung einer geometrischen
Form auf den Tierkörper“ dar.

Die weitere Entwicklungsgeschichte wurde dann von J. Kurthen5 aus W 361 und T281 wie folgt abgelesen:
Er sieht in der Zeichnung W 361 die erste Proportionszeichnung eines Pferdes, das Dürer nach einem
bestimmten Kanon konstruiert hat. Das Einheitsmaß der Ordnungsvorschrift ist die Kopflänge. Daraus
wird das eigentliche Konstruktionsprinzip, ein Quadratnetzschema mit 16 Feldern, aufgebaut. Eine Einheit
fällt auf die Höhe des Halses, drei Einheiten bilden die Höhe des Rumpfes. In V4 Quaaratfeldbreite über
der Standlinie liegt die Fesselhöhe. Durch Halbierung der Entfernung von der Fesselhöhe bis zur Rücken-
linie wird die Bauchtiefe gewonnen.

Beim Kleinen Pferd T281 ist der Rumpf in seiner Ausdehnung vom Brusteinschnitt bis zum hinteren
Kruppenrand und von der Kruppenhöhe bis zur Standlinie auf 9 Felder des Quadratnetzes beschränkt.
Das sechzehnfeldrige Gesamtquadrat dient zur Bestimmung der Genickpunkthöhe. Der Kopf ist durch
diagonale Einstellung in das links-obere Quadratfeld in streng geometrischer Weise in die Netzkonstruk-
tion miteinbezogen.

Kurthen führt Dürers Schema entwicklungsgeschichtlich auf fünf Elemente zurück: 1. das Quadratnetz,
2. die Kopflänge, 3. die quadratische Gesamtform des Pferdes, 4. das Rumpfquadrat und 5. die Bestim-
mung der Bauchtiefe von der Fessel her. In der Vorzeichnung zum Stich Ritter, Tod und Teufel von 1513
wird die dritte Bestimmung durch die vierte abgelöst.

Auf den genannten Grundlagen fußte fortan das Verhältnis der Kopflänge und Halshöhe zur Rumpfhöhe
(= 1X3), womit die Sechzehnfeldrigkeit des Quadratnetzes und die verhältnismäßige Kleinheit des
Kopfes gegeben waren.

Daraus folgt nach Kurthen: 1. Daß Dürer bei seinen ältesten Pferdeproportionsstudien nicht von eigenen
empirischen Feststellungen ausging. 2. Daß ihm keinerlei fremde Vorlagen, sondern nur Anregungen schrift-

4 Repertorium für Kunstwissenschaft 33 (1909), S. 310 ff.

5 Repertorium für Kunstwissenschaffc 44 (1924), S. 81 ff.
 
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