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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0446

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III. EIN UNTERRICHT ALLE MASS ZU ÄNDERN

D. VERÄNDERUNGEN DES KOPFES

Mit den Arbeiten des folgenden Abschnittes beabsichtigte Dürer ein zweifaches: er will die Änderungen,
die er bisher bei der ganzen Figur vornahm, am Kopf durchführen; er will die natürlichen Möglichkeiten
der Gesichtsbildung erörtern und zur Anschauung bringen.

In der zeitgenössischen Kunst- und Fachliteratur vor Dürer wurden Fragen der Kopf- und Gesichtsbildung
als Ausdruck der inneren Eigentümlichkeit, der Anlagen eines Menschen, der Geistes- und Gemütsbeschaffen-
heit und weil für die Ausbildung des Malers bedeutsam, angeschnitten und behandelt:

1. Von Alberti, De pictura, im dritten Buch (Ed. Janitschek, S. 148), der zur Übung im Auffassen der
richtigen Formen die Beobachtung ihrer Abweichungen (differentie) von der normalen Form empfiehlt.

2. Von Leonardo im Buch von der Malerei bes. Tr. 288, 289/290, 292 (Ed. Ludwig I, S. 309 ff.), sowie
in den bekannten Karikaturen, die mit Hilfe verzerrender Gesichtsbildungen menschliche Eigenschaften
veranschaulichen.

3. Von Pomponius Gauricus in der Schrift „De sculptura“ (Florenz 1504), Kap. III „De Physiognomonica“
(Ed. Brockhaus, S. 31 ff. und 153 ff.). Wie Gauricus selbst sagt, gehen seine Ausführungen auf die Schriften
des Aristoteles1 und Adamantius zurück. Er erklärt die Physiognomik als die Erkenntnis des Charakters
der Menschen aus ihrer Körpergestaltung und erörtert näher die Anzeichen am Kopf und im Gesicht, an
Augen, Nase, Stirn, Mund, Kinn, Ohren, im weiteren aber auch an den übrigen Körperteilen wie Händen
und Füßen.

4. Willibald Pirckheimers vermutlicher Lehrer in Padua, Alexander Achillinus (1463—1512), Philosoph
und Mediziner, hatte in Bologna 1503 die „Chyromantiae et Physiognomiae Anastasis“ des Bartholomaeus
Cocles veröffentlicht.

Allem Anschein nach durch Leonardos Muster angeregt, zog Dürer während seines zweiten Aufenthaltes
in Italien die Physiognomik und die Erfindung von Charaktertypen in den Bereich seiner künstlerischen
Interessen. Das 1306 in Venedig innerhalb von fünf Tagen ausgeführte Gemälde „Der zwölfjährige Jesus
unter den Schriffgelehrten“ (T 321) zeigt in den Köpfen deutlich die Einwirkung der Karikaturen
Leonardos.

In Dürers Handzeichnungen tauchen Physiognomisches und Variationen der Gesichtsbildung erst später
auf. Wissenschaflliche Beschaffenheit zeigen und zweifellos von Leonardos Karikaturen angeregt sind
folgende unbeschriflete Zeichnungen mit physiognomischen Studien:

1. Studienblatt mit zehn Profilköpfen, meist karikiert (W 65 6). Daran sieht man ganz deutlich, daß Diirei
mit dem Kopf rechts begonnen hat, d. h. eine systematische Abänderung dieses Grundtypus geben wollte.

2. Studienblatt mit vier Profilköpfen, teilweise karikiert (W 657), Von Diirer 1513 datiert. Auch diese
Reihe entstand aus der planmäßigen Abänderung eines normalen Bildniskopfes, hier des Mannes rechts.

3. Brustbild eines bartlosen Mannes im Profil (W 658). Gegenstück zum folgenden.

4. Brustbild eines Mannes mit Hut im Profil (W 659). Um 1512—1514.

5. Zwei Profilköpfe (W 661). 1511/15.

6. Fünf Frauenköpfe im Profil auf einem Studienblatt mit verschiedenen Motiven, die Wiedergaben von
verlorenen Zeichnungen Dürers darstellen (W II, Anhang Taf. 27).

7. Verschollenes Studienblatt mit drei Profilköpfen und Hand zum Stich Ritter, Tod und Teufel (W III,
Anhang Taf. 19). 1513.

1 In der neueren Forschung gelten dessen Physiognomika als unecht. Man nimmt an, daß sie etwa im 2. Jh. n. Chr. aus
zwei älteren Stücken zusammengesetzt wurden.

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