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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0447

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D. VERÄNDERUNGEN DES KOPFES

8. Sechs bzw. vier Profilköpfe. Dresdener Skizzenbuch, fol. ioi (Bruck, Taf. 124 und 125).

9. Zwei Profilköpfe neben männlicher Proportionsfigur. Dresdener Skizzenbuch, fol. 170a (Bruck,
Taf. 115; T 565).

10. Drei Profilköpfe. Dresdener Skizzenbuch, fol. 180a (Bruck, Taf. 146).

Bei seiner Absicht, in der Lehre von menschlicher Proportion die Veränderungen des Kopfes so exakt wie
möglich in Konstruktionsbild und Anleitung zur Darstellung zu bringen, nimmt Dürer als Anwendungs-
objekt den Kopf des Mannes aa bb bzw. die im ersten Buch behandelte Normalform des männlichen
Hauptes1. An ihm ändert er zunächst die äußere Konstruktionsform.

Der Kubus (in der Normalform ein Quader, dessen Seitenfläche ein Quadrat und dessen Grund- und
Vorderfläche je ein Rechteck 4 : 5 bildet), in den der Kopf eingezeichnet ist, wird gestreckt oder nieder-
gedrückt. In einem Fall wird der Kopf dünner und schmäler, im anderen dicker und breiter. Der Raum-
inhalt bleibt dabei der gleiche. Danach wird der Kubus durch Verwandlung des Quadrates und Rechteckes
in Trapeze in einen nach unten, oben oder rückwärts sich verbreiternden Pyramidenstumpf verändert.
Schließlich wird der Kubus zu einem Rhomboeder verzogen. Das proportionale Verhältnis der inneren
Seiteneinteilung zu der ursprünglichen erreicht Dürer, indem er jede Seite des ersten Kubus durch den
Verkehrer oder Wähler auf die entsprechende Seite des Trapezes bzw. des Rhombus hinüberprojiziert.

Im zweiten Vorgehen behält Dürer die Normalmaße für das Kopfquadrat und Kopfrechteck bei, verschiebt
dafür aber die Binnenzeichnung in der Horizontal- und Vertikaleinteilung. Durch Verschiebung der par-
allelen Waagrechten bekommt er eine Veränderung der Höhen und Längen von Stirn, Nase, Untergesicht
und Ohr. Durch Brechung, Krümmung und Schräglegung der inneren Teilungslinien führt er Variationen
der Einzelformen, Stirn, Augen, Nase, Lippen, Kinn, Ohren, herbei.

Bei den regelmäßigen Veränderungen stellt Dürer in der gedruckten Proportionslehre 18 verschiedene
Köpfe auf. Die Zahl der unregelmäßigen Veränderungen ist unbegrenzt. Mit ihrer Hilfe entstehen die
zusammengestellten iibertrieben verzerrten Gesichtsbilder. Die Kopfstudie wird zur physiognomisch ge-
steigerten Karikatur.

Alle diese Veränderungen demonstriert Dürer im Anschluß an die Gegensatzbegriffe: der Verschmälerung
der Gesichtsform wird ihre Verbreiterung an die Seite gestellt, der Überhöhung der Stirn die Verlängerung
des Untergesichtes, der Einbiegung die Ausbiegung, der Habichtsnase eine Stumpfnase, dem schmallippigen
Mund wulstige Negerlippen usw. Jedesmal wird die Normalbildung nach zwei entgegengesetzten Seiten
hin verändert.

Dürers Ausführungen im Druck der Lehre von menschlicher Proportion (1528), fol. Qiab (in den Entwürfen
unsere Nr. 5, 1, Z. 127'ff. und Nr. 6, 2, Z. 69 ff.), über die Verschiedenheit der Formen, welche von der
Natur den einzelnen Teilen eines menschlichen Antlitzes verliehen werden, brachte Klaiber, aaO, S. 27,
mit den Äußerungen Leonardos in Tr. 288 und 289/90 zusammen und schloß auf eine Beziehung zwischen
den beiden Darlegungen. Nach Panofsky, der aaO, S. 74 ff., dazu kritisch Stellung nahm, ist zwar die
kategorisierende Betrachtungsweise bei Leonardo und Dürer eine sehr ähnliche, sonst aber sei die Beziehung
bestenfalls eine peripherische. Dürers Angaben gehen viel weiter und ziehen alle Einzelteile des Gesichtes
auch für die Vorderansicht in Betracht. Dürer behandelt auch die Längenverrückung. Dürers Aufstellungen
haben einen ganz anderen Sinn und Zweck als die Leonardos.

Diese Selbständigkeit würde gestützt durch eine kritische Anspielung in Nr. 5,1, auf einen Proportions-
theoretiker, der glaubt, die Veränderungsmöglichkeiten der drei Grundprofile des menschlichen Angesichtes
zahlenmäßig erfassen zu können, dem aber Dürer dabei nicht folgen wolle.

1 Vgl. zur Sache Giesen, AaO, S. 48; Kauffmann, Dürers rhythmische Kunst, S. 111 ff.; Panofsky, Jahrbuch für Kunst-
wissenschafl 1926, S. 167 ff.

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