Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0155

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
C. VON DER MASS DES MENSCHEN

C. VON DER MASS DES MENSCHEN. DIE ARITHMETISCHE METHODE.

Alle Proportionszeichnungen der ersten Periode, auch wenn sie untereinander relativ verschieden sind, waren
nach ein und derselben geometrischen Methode entstanden. Allerdings hatten sich bereits vor der Italienreise
diejenigen Elemente, die den geometrischen Charakter des Konstruktionsschemas am deutlichsten bekundeten,
die Kreise, allmählich verloren. Dürer reduzierte das Schema auf die geraden Linien. Diese Geraden funktio-
nierten noch immer als Elemente von Figuren, die die Formen der Körper und der Bewegung angaben. Justi
hat die Tendenz der Entwicklung in der ersten Periode formuliert als allmählichen „Übergang vom geome-
trisch konstruierten Schema zum arithmetisch festgestellten Netz, vom Zirkelschlag für die Konturen zum
Bestimmen der Hauptpunkte durch Horizontalen und Vertikalen“ L

Nun aber, nach der Riickkehr aus Italien, wird das weiter anders. Es tauchen jetzt Konstruktionsfiguren auf,
die das alte geometrische Schema mit zahlenmäßig gegebenen Bestimmungen verbinden. Ein Beispiel dafiir
stellt die Figur eines Mannes in Vorderansicht im Dresdener Skizzenbuch, fol. 132 (Bruck, Taf. 52, unsere
Nr. 2, 3), dar. Sie ist noch mit Hilfe des Brustquadrates und Brustkreises konstruiert, ihre Schulterrundung
und die Hiiftpartie sind durch Kreislinien geformt; auch Brustmuskel und Brustwarzen sind auf geome-
trischem Wege bestimmt. Gleichzeitig aber wurden durch den Körper Horizontallinien gezogen, die an der
Seite durch Bogen miteinander verbunden erscheinen, bei denen Zahlen die Höhenmaße angeben, indes
die Längen der Waagerechten die Breitenmaße beigeschrieben haben. Mit einem Wort, die Zeichnung bildet
innerhalb von Dürers Proportionsarbeit eine Zwischenstufe, indem sie sich einerseits des geometrischen
Schemas bedient, um die Umrißlinien zu bestimmen, andererseits aber auch ein arithmetisches Koordinaten-
verfahren verwendet. Aus der geraden und steifen Haltung ist überdies zu schließen, daß solche Zeichnungen
nicht mehr für eine praktische Verwendung im Bildwerk angefertigt wurden, sondern als reine Proportions-
studien gedacht waren1 2.

Es scheint für Dürer charakteristisch und beweist seine starke Selbständigkeit, daß er nicht sogleich zur Gänze
zum arithmetischen Verfahren überging, sondern zunächst eine Synthese versuchte zwischen der alten selbst-
gefundenen Methode und dem neuen, ihm jetzt bekanntgewordenen Weg. Erst nach dem Versuch eines
Ausgleiches entschloß er sich, das neue Verfahren zu systemisieren, indem er von 1507 bis 1513 mit unend-
lichem Fleiß und Scharfsinn in der neuen Richtung ein ganzes Proportionssystem ausarbeitete, dessen all-
mähliches Werden sich in einer großen Anzahl von Zeichnungen und Texten kundtut. Aus einer geometrisie-
renden Arbeitsweise wird eine arithmetische, welche die Körpermaße rein zahlenmäßig ausdrückt.

Die Proportionsfiguren stehen fortan völlig gerade. Der Körper wird in allen drei Dimensionen erfaßt.
Bewegungen sollen erst durch Konstruktion abgeleitet werden. Die Figuren sind von Horizontallinien durch-
zogen, deren Länge die Dicken- oder Breitenmaße angibt, je nachdem die Figur in der Profil- oder Faceansicht
gezeichnet ist. Der Vertikalabstand der Horizontalen (oft durch Bogen oder Striche verdeutlicht) gibt die
Höhenmaße an. Alle drei Abmessungen werden in aliquoten Körperbruchteilen der Gesamtlänge ausgedrückt
und sind an die Figuren notiert. Bei den Profilfiguren ist der Arm gesondert daneben gezeichnet.

Besondere Sorgfalt wird der Herstellung des Antlitzes von Mann und Frau zugewendet; der Kopf mit seinen
drei Rissen ist das erste, das bestimmt werden soll und dem als Maßeinheit Selbständigkeit zukommt. Aus-
führlich und selbständig werden später auch die Hand und der Fuß behandelt und deren Konstruktionen
gelehrt.

Es kommt Dürer darauf an, den Körper in seinen Abmessungen möglichst vollständig zu bestimmen. Die
Einzelmaße werden in einer streng systematischen Abfolge, beginnend von oben und fortschreitend nach

1 AaO, S. 20.

2 Vgl. Giesen, aaO, S. 38.

Ui
 
Annotationen