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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0087

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II. DAS LEHRBUCH DER MALEREI

In Italien, wenn nicht schon früher, faßte Dtirer über seine bisherigen theoretischen Studien hinaus den
Entschluß, ein Lehrbuch der Malerei auszuarbeiten, um so seiner Kunst eine methodische Grundlage zu
schaffen. Eine nach der Rückkehr aus Italien abgefaßte Vorrede und drei Inhaltsangaben, besser vielleicht
Inhaltsvorhaben, aus den Jahren um 1508 lassen vermuten, daß dieses Programm schon längere Zeit über-
legt und bis ins einzelne durchdacht war. In Niederschriften aus dem Jahre 1513 gibt Dürer dem Buch den
Titel „Ein Unterricht der Malerei“, „Unterweisung der Lehrjungen in der Malerei“, „Ein Speis der Maler-
knaben“.

Der Zweck des Buches war ein praktischer. Dürer wollte alle Erfahrungen und alles Wissen, das er sich
selbst bei der Ausübung seiner Kunst mühsam erworben hatte, weitergeben. Er ist nicht mehr darauf bedacht,
sein Wissen und Können als Werkstättengeheimnisse zu behüten, sondern wünscht, daß jeder, der das Bestre-
ben und das Talent dazu hat, über das Lehrbuch zu weiteren und höheren Erkenntnissen gelange als es ihm
möglich war. Das Erkenntnisvermögen eines einzelnen reiche nicht hin, die ausgedehnte und unbegrenzte
Kunst des richtigen Malens erschöpfend zu behandeln.

Dabei geht es Dürer um die Heranbildung des kunstfertigen und zugleich gebildeten Malers. Oft sei die Erde
Jahrhunderte hindurch ohne einen solchen großen Meister der Kunst, hauptsächlich deswegen, weil die hier-
für Begabten nicht dazu hingelenkt wurden.

Das Buch sollte 3 Elauptpunkte, Praefatio, Exsecutio (Peractio), Conclusio, haben, jeder Hauptpunkt in
3 Teile gegliedert sein, jeder Teil in 6 Kapitel. Diese streng nach der Drei- mit der Sechszahl kombiniert
gegliederte Disposition ist kaum Zufall, sondern sollte wohl die höhere Regel- und Gesetzmäßigkeit des
Ablaufes der Ausbildung zum Maler dartun und betonen.

Es ist gar keine Frage, daß bei dieser Zugrundelegung der Zahl 3 als formal normatives Schema bestimmte
zahlentheoretische und zahlenmystische Vorstellungen mitwirkten. Es handelt sich um ursprünglich pytha-
goräische und neuplatonische Gedankengänge, die vom Christentum aufgenommen und weiter entwickelt
worden sind. Man kann die Linie verfolgen von Augustinus bis zum Cusaner, G. Pico von Mirandola und
Luca Pacioli1. Antike Zahlensymbolik floß mit der christlichen zusammen. Im Hintergrund aller mittel-
alterlichen Zahlenkomposition steht der vielzitierte Satz aus dem Liber Sapientiae 11, 21. Diese Formel wird
in der Bibel als Ausdruck der göttlichen Weltordnung gefaßt. Aus ihr ist der Ordo-Gedanke des mittelalter-
lichen Weltbildes entwickelt worden2.

Drei ist die schlechthin vollkommene, durch die Dreiecksform repräsentierte Zahl der Geschlossenheit, durch
die Trinität Gottes die Zahl der Heiligkeit und Vollkommenheit. Weltall (Himmel, Erde, Unterwelt) und
Heilsgeschichte (ante legem, sub lege, sub gratia) hat Gott in 3 Teile gegliedert. Der Dreizahl zugeordnet
sind der dreifache Klang der Musik und der motus ternarius der Seele. Die Tätigkeit Gottes ist nach Pacioli
der einzige Maßstab für die Feststellung der mathematischen wie der moralischen Ordnung.

Die Zahl der 6 Schöpfungstage Gottes ist daher die absolute Norm für ein Werk der schöpferischen Tätig-
keit des Menschen. Sechs war die Zahl der Arbeitstage und -jahre der Israeliten, ist die Zahl der Altersstufen
des Menschen, das Sinnbild seiner irdischen Arbeit. Die Erschaffung des Menschen war nach mittelalterlicher
Auffassung bis auf den Wochentag und die Stunde an die Sechszahl geknüpft3.

1 Besonders der letztere brachte in seiner „Summa de Arithmetica“ ausführliche Aufstellungen der zahlentheoretisdien
Lehren. Am umfassendsten dabei ist die theologiscbe und philosophische Erörterung des Wesens und der Funktion der
Zahl 3. Als Hauptquelle wird das Werk „De tribus principiis“ des Antonius Andreas genannt.

2 Vgl. E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 2. Aufl., S. 491 ff.

3 Auch bei Vitruv III 1,6 heißt es: „Die Mathematiker haben ... jene Zahl, die man mit ,sechs£ bezeichnet, zu der
vollkommenen erklärt, da diese Zahl eine sechsfache aufeinanderfolgende Teilbarkeit ihrer eigenen Zahleinheit ent-
hält.“

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