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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Hrsg.]
Schriftlicher Nachlaß (Band 2): Die Anfänge der theoretischen Studien ; das Lehrbuch der Malerei: von der Maß der Menschen, der Pferde, der Gebäude ; von der Perspektive ; von Farben ; ein Unterricht alle Maß zu ändern — Berlin, 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.29732#0401

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III. EIN UNTERRICHT ALLE MASS ZU ÄNDERN

Früh schon suchte Dürer nach Mitteln und Wegen, seine Gestalten und deren Körperteile zu verändern
und zu variieren. Aller Wahrscheinlichkeit nadi sollten die Veränderungen noch im Lehrbuch der Malerei
behandelt werden.

In der nach 1513 ausgearbeiteten selbständigen Lehre von menschlicher Proportion war den Veränderungen
ein eigenes Buch, und zwar das spätere dritte zugewiesen. Ihm gab Dürer sehr bald auch einen Titel, „Ein
vnderridit alle mas zw endern“, und entwarf den Anfang. Aus der 1523 zum Druck vorgesehenen Lehre
von menschlicher Proportion ist die Reinschrifl dieses Buches nidit erhalten. Wie es dann seit 1328 gedruckt
vorlag, galt dieses dritte Buch als das bedeutendste der ganzen Proportionslehre. In ihm wollte Dürer
anzeigen, „wie man die [im 1. und 2.] forbeschrybnen massen endern vnnd verkeren mag“ (Fol. O), d. h.
Dürer beabsichtigte, darin im Sinne der Begriffe von Mutatio und Variatio nach Festlegung der Gegen-
satzpaare die Schemata der Umkonstruktionen, deren Handhabung und die damit erreichbaren Möglich-
keiten aufzustellen und zu zeigen.

Dieses Vorgehen liegt auch den zum Thema des dritten Buches erhaltenen Studien und Vorarbeiten
zugrunde.

Bevor Dürer mit der praktischen Unterrichtung einsetzt, erörtert er die logischen Voraussetzungen der
folgenden Veränderungen in Form antithetischer Begriffspaare. Dürer selbst nennt diese Gegensatzbegriffe
(Contraria, Variabeln oder Relationen) „dy widerwertigen ding“ oder die „widerwertige zusamenstellung“
bzw. „zusamenfügung“, im Ästhetischen Exkurs (5228, fol. 106; Bd. III, Kap. IF, Nr. 11) „worter der unter-
schieden“, in der gedruckten Lehre von menschhcher Proportion 1528, fol. T, „worter der vnderscheid“1.
Die Anzahl dieser Begriffspaare schwankt in den Entwürfen zwischen 11 und 19, im Druck sind es eben-
falls 19. Dürer stuffe sie für seinen speziellen Zweck zuletzt in fünf Gruppen. Die Grundlage und die
Spannungsfelder seiner Veränderungen bilden die vier Akzidentien groß — klein, lang — kurz, breit •—
schmal, dick — dünn. Ihnen entsprechen oder akzedieren Eigenschaffen des körperlichen Zustandes. Weiter
verwendet er Contraria aus dem Bereich der Geometrie. Stark verändernd wirken Gegensätze wie geben •—
nehmen, viel — wenig. Unter Umständen brauche man auch Unterschiede des Ortes wie rechts — links
u. dgl. Ein solches Vorgehen verrät Dürers Vertrautheit mit dem Begriff und der Lehre von der Variation
und Lehre von den Akzidentien.

Zur Durchführung der in den grundlegenden Gegensatzpaaren begriffenen Veränderungen benützt Dürer
fünf bzw. sechs Hilfskonstruktionen: 1. den Verkehrer; 2. den Wähler; 3. den Zwilling; 4. den Zeiger;
5. die beiden Fälscher. Die Verfahren sind von Panofsky, Jahrbuch für Kunstwissenschaff 1926, S. 158
und Tafel 2 (zwischen S. 176 und 177), und von Giesen, aaO, S. 47 ff. und Tafel L, charakterisiert und
rekonstruiert worden. Durch ihre Anwendung kann man aus einem Normaltyp von Mann oder Frau oder
dem Normalkopf zahllose Veränderungen der menschlichen Figur und des Kopfes hervorbringen. Mit
Ausnahme des Zwillings beruhen alle Schemata auf den Strahlensätzen. Immer handelt es sich um eine
vergleidhliche Teilbarkeit.

1 Von Camerarius Absatz 6 übersetzt mit „apellationes discriminum“, Absatz 15 mit „differentiae vocabula“.

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