Metadaten

Anton Schroll und Co. (Wien)
Almanach des Verlages Anton Schroll & Co: Kunst, Dichtung, Kunstgewerbe — Wien: Anton Schroll, 1926

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.68619#0027

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
sondern förmlich über Nacht. Vor solchem promethei-
schen Feuer erschrak fast die an der entwicklungs-
geschichtlichen Logik toskanischer Kunst erprobte und
gefestigte Kritik. Der Faden der alten Kunstüberliefe-
rung schien in Venedig abgerissen. Inselhaft stand
ein Künstler da, erhaben und kräftig, fähig, unter
seinem von jugendlichen Armen geschwungenen Banner
alle Strebenden zu vereinigen. Doch schon die Tat-
sache eines zugleich mit seinen Werken einsetzenden
und sich verbreitenden Stiles müßte dem Problem ein
anderes Gesicht verleihen, müßte die Erkenntnis heran-
reifen lassen, daß Giorgione nur der bedeutendste Ex-
ponent einer mehr oder minder sichtbaren oder latent
ringenden Richtung war; dem Ziel dieser Richtung
strebte nicht er allein zu, sondern mit größerem oder
minderem Können, mit klarerem oder gehemmterem
Wollen seine Zeit. Es muß also der Begriff „Giorgione"
in eine Formel „Giorgionismus" gefaßt werden, die
nicht nur auf dem Gebiete der Malerei, sondern auf
dem der Gesamtkunst Geltung hat. Der Revolution in
der Malerei entspricht ein analoger Vorgang in der
Skulptur und Plastik; was aber in der Malerei schwer
zu deuten scheint, entfaltet sich auf dem Gebiete der
Schwesterkunst durch die Logik der Einzelphasen um so
klarer, allerdings nicht auf dem allerhöchsten Gipfel
des Kunstschaffens. Eben weil auf diesem Gebiete aber
die überragende Persönlichkeit eines Giorgione fehlte,
eben weil das Können eines Einzelnen nicht die Be-
strebungen aller Gleichgesinnten in den Schatten stellte,
gewährt das Studium der Plastik vielleicht sichereren

21
 
Annotationen