ANDREA RICCIO
UND DIE NEUE KUNST DES GIORGIONE
VON LEO PLANISCIG
Die große, durchgreifende Erneuerung der venezia-
nischen Malerei zu Beginn des Cinquecento steht
unter dem Zeichen Giorgiones. Es ist bekannt, wie
bedeutsam die Gestalt dieses Künstlers ist, die ein
Schleier verhüllt, der fast ein Geheimnis zu bergen
scheint. Das rätselhafte Wesen seiner Kunst und ihrer
Vorbedingungen ist des öfteren und auf verschiedene
Weise, ebenso wie etwa das der Kunst Jan van Eycks,
gedeutet worden. Perugino, Leonardo und Fra Bartolom-
meo wurden als diejenigen zitiert, die den Impuls für
sein Werden, für die Entfaltung seines neuen Stils
gegeben haben sollten. Man hat nach einer pragma-
tischen Erklärung dieses Stils gesucht, hat sie aber
wohl nicht gefunden. Die Schule des Giambellin reichte
nicht aus, um Giorgione zu erklären. Der Giorgio-
nismus des späten Bellini widersprach dem Verhältnis
von Lehrer und Schüler, vom Geber und Empfänger.
Die unerhört rasche Verbreitung einer neuen über-
wältigenden Kunstsprache verwirrte die Forscher; Zorzi
aus Gastelfranco wurde ein Mythus. Stürmer und Neuerer
seines Schlages sind ja gewöhnlich viel späteren Gene-
rationen erst verständlich. Denn der Giorgionismus ist
ein Phänomen, das im Nu das Gesicht der veneziani-
schen Kunst verändert. Begabte und Minderbegabte
reißt er mit. Und dies nicht in einer Folge von Jahren,
nicht in der nächsten und übernächsten Generation»
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UND DIE NEUE KUNST DES GIORGIONE
VON LEO PLANISCIG
Die große, durchgreifende Erneuerung der venezia-
nischen Malerei zu Beginn des Cinquecento steht
unter dem Zeichen Giorgiones. Es ist bekannt, wie
bedeutsam die Gestalt dieses Künstlers ist, die ein
Schleier verhüllt, der fast ein Geheimnis zu bergen
scheint. Das rätselhafte Wesen seiner Kunst und ihrer
Vorbedingungen ist des öfteren und auf verschiedene
Weise, ebenso wie etwa das der Kunst Jan van Eycks,
gedeutet worden. Perugino, Leonardo und Fra Bartolom-
meo wurden als diejenigen zitiert, die den Impuls für
sein Werden, für die Entfaltung seines neuen Stils
gegeben haben sollten. Man hat nach einer pragma-
tischen Erklärung dieses Stils gesucht, hat sie aber
wohl nicht gefunden. Die Schule des Giambellin reichte
nicht aus, um Giorgione zu erklären. Der Giorgio-
nismus des späten Bellini widersprach dem Verhältnis
von Lehrer und Schüler, vom Geber und Empfänger.
Die unerhört rasche Verbreitung einer neuen über-
wältigenden Kunstsprache verwirrte die Forscher; Zorzi
aus Gastelfranco wurde ein Mythus. Stürmer und Neuerer
seines Schlages sind ja gewöhnlich viel späteren Gene-
rationen erst verständlich. Denn der Giorgionismus ist
ein Phänomen, das im Nu das Gesicht der veneziani-
schen Kunst verändert. Begabte und Minderbegabte
reißt er mit. Und dies nicht in einer Folge von Jahren,
nicht in der nächsten und übernächsten Generation»
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