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Vöge, Wilhelm
Die Anfänge des monumentalen Stiles im Mittelalter: eine Untersuchung über die erste Blütezeit französischer Plastik — Heitz, 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.31188#0238

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208

wie hier der Chartrerer Stil entstanden sein, wo er
so mangelhaft ist verstanden worden, und wo die Be-
ziehungen zu den Quellen dieser Kunst sieh längst ver-
wischt haben ! Auch ist hier die Pflanzenornamentik
bereits von einem Saft, von einer Lebensfülle, die selbst
die Akanthuskapiläie ergreift und deutlich absticht von
der spröden, trockenen Behandlung des antiken Blatt-
werks am Chartrerer Westporlale.1
Es ist lehrreich, auch einen Blick auf die Architektur
zu werfen ; dieser Bau steht auch architektonisch betrach-
tet ausserhalb der eigentlichen Entwicklungssphäre. Die
Kirche ist im Osten begonnen worden, das spitzbogig
geschlossene Westporlal und die bereits mit einem gothi-
schen Rippengewölbe überdeckte Vorhalle wurden an
letzter Stelle ausgeführt. Wie seltsam hier auf engem
Raume die Elemente verschiedener Stilarten durcheinander
spielen, illustriert uns am besten die Ansicht Aufauvre’s,
wonach zwischen dem Bau der Absis und dem des Por-
tals ein Zeitraum von etwa 200 Jahren läge. Aufauvre
setzt die erstere um das Jahr 1000 an, das Portal in das
Ende des 12. Jahrhunderts. Anlhyme Saint-Paul, dem
wir eine äusserst geistvolle Analyse dieses Baues ver-
danken,2 belehrt uns eines anderen: Das Ganze ist ein

1 Auch die Ornamentik der Säulenschäfte in Chartres, die sich
meist in specifiscli mittelalterlichen Rankenmotiven ergeht, — eine
Akanthusranke findet sich hier nur einmal, — erscheint neben den Ran-
ken von Saint-Loup-de-Naud lebloser, unentwickelter. Dagegen finde
ich die auffallendsten Analogieen zwischen den Kapi-
tale nvonSaint-Loup-de-Naud und einigen aus Notro-
Dame in Chälons-s.-M. stammenden Kapitalen, deren
Abgüsse sich im Trocaderomuseum befinden (Nr. 807—809); wir
haben hier dieselben Rankenmotive, denselben Grad organischer
Belebung, die gleichen Früchte, Masken und Tiere, auch in der Ka-
tälform finden sich enge Bezüge. Es würde sich vielleicht verlohnen,
diese Beziehungen zu verfolgen; gelegentlich meines Aufenthalts in
Chälons waren mir dieselben noch nicht aufgefallen. Die Kirche
Notre-Dame hatte ein unserer Schule zugehöriges Statuenportal, über
dessen erhaltene Reste ich im Anhang referiere.
2 A travers les monuments historiques, I. Teil, Paris 1877, S. 12 f.
 
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