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Statuen im Belvedere-Hof
die Hand führen, die ersten Züge, die ich hier entworfen, künftig ... [auszuführen]. Ich lege den Begriff
welchen ich von diesem Bilde gegeben zu dessen Füßen, wie die Kränze derjenigen welche das Haupt
der Gottheiten, die sie krönen wollten, nicht erreichen konnten.
Druckfassung der Apollo-Beschreibung in GK1 S. 392—394 (GKTextS. 780)
295 Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums, welche der
Zerstörung derselben entgangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal 10
gebauet, und er hat nur eben so viel von der Materie dazu genommen, als nöthig war, seine Absicht
auszuführen und sichtbar zu machen. Dieser Apollo übertrift alle andere Bilder desselben so weit, als
der Apollo des Homerus den, welchen die folgenden Dichter malen. Ueber die Menschheit erhaben ist
sein Gewächs, und sein Stand zeuget von der ihn erfüllenden Größe. Ein ewiger Frühling, wie in dem
glücklichen Elysien, bekleidet die reizende Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend, 15
und spielet mit sanften Zärtlichkeiten auf dem stolzen Gebäude seiner Glieder. Gehe mit deinem
Geiste in das Reich unkörperlicher Schönheiten, und versuche ein Schöpfer einer Himmlischen Natur
zu werden, um den Geist mit Schönheiten, die sich über die Natur erheben, zu erfüllen: denn hier ist
nichts Sterbliches, noch was die Menschliche Dürftigkeit erfordert. Keine Adern noch Sehnen erhitzen
und regen diesen Körper, sondern ein Himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strohm ergossen, hat 20
gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllet. Er hat den Python, wider welchen er zuerst
seinen Bogen gebraucht, verfolget, und sein mächtiger Schritt hat ihn erreichet und erleget. Von der
Höhe seiner Genügsamkeit geht sein erhabener Blick, wie ins Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus.
Ver[393]achtung sitzt auf seinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in sich zieht, blähet sich in den
Nüssen seiner Nase, und tritt bis in die stolze Stirn hinauf. Aber der Friede, welcher in einer seligen Stille 25
auf derselben schwebet, bleibt ungestört, und sein Auge ist voll Süßigkeit, wie unter den Musen, die
ihn zu umarmen suchen. In allen uns übrigen Bildern des Vaters der Götter, welche die Kunst verehret,
nähert er sich nicht der Größe, in welcher er sich dem Verstände des Göttlichen Dichters offenbarere,
wie hier in dem Gesichte des Sohnes, und die einzelnen Schönheiten der übrigen Götter treten hier, wie
bey der Pandora, in Gemeinschaft zusammen. Eine Stirn des Jupiters, die mit der Göttinn der Weisheit 30
schwanger ist, und Augenbranen, die durch ihr Winken ihren Willen erklären: Augen der Königinn
der Göttinnen mit Großheit gewölbet, und ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten
Branchus die Wollüste einflößet. Sein weiches Haar spielet, wie die zarten und flüßigen Schlingen edler
Weinreben, gleichsam von einer sanften Luft bewegt, um dieses göttliche Haupt: es scheint gesalbet mit
dem Oel der Götter, und von den Gratien mit holder Pracht auf seinem Scheitel gebunden. Ich vergesse 35
alles andere über dem Anblicke dieses Wunderwerks der Kunst, und ich nehme selbst einen erhabenen
Stand an, um mit Würdigkeit anzuschauen. Mit Verehrung scheint sich meine Brust zu erweitern und
zu erheben, wie diejenigen, die ich wie vom Geiste der Weißagung aufgeschwellet sehe, und ich fühle
mich weggerückt nach Delos und in die Lycischen Hayne, Orte, welche Apollo mit seiner Gegenwart
Statuen im Belvedere-Hof
die Hand führen, die ersten Züge, die ich hier entworfen, künftig ... [auszuführen]. Ich lege den Begriff
welchen ich von diesem Bilde gegeben zu dessen Füßen, wie die Kränze derjenigen welche das Haupt
der Gottheiten, die sie krönen wollten, nicht erreichen konnten.
Druckfassung der Apollo-Beschreibung in GK1 S. 392—394 (GKTextS. 780)
295 Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums, welche der
Zerstörung derselben entgangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal 10
gebauet, und er hat nur eben so viel von der Materie dazu genommen, als nöthig war, seine Absicht
auszuführen und sichtbar zu machen. Dieser Apollo übertrift alle andere Bilder desselben so weit, als
der Apollo des Homerus den, welchen die folgenden Dichter malen. Ueber die Menschheit erhaben ist
sein Gewächs, und sein Stand zeuget von der ihn erfüllenden Größe. Ein ewiger Frühling, wie in dem
glücklichen Elysien, bekleidet die reizende Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend, 15
und spielet mit sanften Zärtlichkeiten auf dem stolzen Gebäude seiner Glieder. Gehe mit deinem
Geiste in das Reich unkörperlicher Schönheiten, und versuche ein Schöpfer einer Himmlischen Natur
zu werden, um den Geist mit Schönheiten, die sich über die Natur erheben, zu erfüllen: denn hier ist
nichts Sterbliches, noch was die Menschliche Dürftigkeit erfordert. Keine Adern noch Sehnen erhitzen
und regen diesen Körper, sondern ein Himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strohm ergossen, hat 20
gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllet. Er hat den Python, wider welchen er zuerst
seinen Bogen gebraucht, verfolget, und sein mächtiger Schritt hat ihn erreichet und erleget. Von der
Höhe seiner Genügsamkeit geht sein erhabener Blick, wie ins Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus.
Ver[393]achtung sitzt auf seinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in sich zieht, blähet sich in den
Nüssen seiner Nase, und tritt bis in die stolze Stirn hinauf. Aber der Friede, welcher in einer seligen Stille 25
auf derselben schwebet, bleibt ungestört, und sein Auge ist voll Süßigkeit, wie unter den Musen, die
ihn zu umarmen suchen. In allen uns übrigen Bildern des Vaters der Götter, welche die Kunst verehret,
nähert er sich nicht der Größe, in welcher er sich dem Verstände des Göttlichen Dichters offenbarere,
wie hier in dem Gesichte des Sohnes, und die einzelnen Schönheiten der übrigen Götter treten hier, wie
bey der Pandora, in Gemeinschaft zusammen. Eine Stirn des Jupiters, die mit der Göttinn der Weisheit 30
schwanger ist, und Augenbranen, die durch ihr Winken ihren Willen erklären: Augen der Königinn
der Göttinnen mit Großheit gewölbet, und ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten
Branchus die Wollüste einflößet. Sein weiches Haar spielet, wie die zarten und flüßigen Schlingen edler
Weinreben, gleichsam von einer sanften Luft bewegt, um dieses göttliche Haupt: es scheint gesalbet mit
dem Oel der Götter, und von den Gratien mit holder Pracht auf seinem Scheitel gebunden. Ich vergesse 35
alles andere über dem Anblicke dieses Wunderwerks der Kunst, und ich nehme selbst einen erhabenen
Stand an, um mit Würdigkeit anzuschauen. Mit Verehrung scheint sich meine Brust zu erweitern und
zu erheben, wie diejenigen, die ich wie vom Geiste der Weißagung aufgeschwellet sehe, und ich fühle
mich weggerückt nach Delos und in die Lycischen Hayne, Orte, welche Apollo mit seiner Gegenwart