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Winckelmann, Johann Joachim; Balensiefen, Lilian; Borbein, Adolf Heinrich [Editor]; Kunze, Max [Editor]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Editor]; Deutsches Archäologisches Institut [Editor]; Winckelmann-Gesellschaft [Editor]
Schriften und Nachlaß (Band 4,5): Statuenbeschreibungen, Materialien zur "Geschichte der Kunst des Alterthums", Rezensionen — [Mainz am Rhein]: Verlag Philipp von Zabern, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.58927#0062

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Statuen im Belvedere-Hof

sind, in einem Glanze von ihrer ehemaligen Schönheit. Der Künstler derselben hat ein hohes Ideal eines
über die Natur erhabenen Körpers, und eine Natur männlich vollkommener Jahre, wenn dieselbe bis auf
den Grad göttlicher Genügsamkeit erhöhet wäre, in diesem Hercules gebildet, welcher hier erscheint,
wie er sich von den Schlacken der Menschheit mit [743] Feuer gereiniget, und die Unsterblichkeit und
den Sitz unter den Göttern erlanget hat1: denn er ist ohne Bedürfniß menschlicher Nahrung, und ohne 5
ferneren Gebrauche der Kräfte vorgestellet. Es sind keine Adern sichtbar, und der Unterleib ist nur
gemacht zu genießen, nicht zu nehmen, und völlig, ohne erfüllt zu seyn. Er hatte wie die Stellung des
übrigen Restes urtheilen läßt, den rechten Arm über sein Haupt geleget, um ihn in der Ruhe nach allen
899 seinen Arbeiten zu bilden, welche Stellung die Ruhe bedeutete; so wie Hercules auf einer großen Schale
857 von Marmor, ingleichen auf dem bekannten erhobenen Werke der Aussöhnung und des vergötterten 10
Standes desselben, und hier mit der beygesetzten Anzeige: ΗΡΑΚΛΗΣ ΑΝΑΠΑΥΟΜΕΝΟΣ, „der ruhende
Hercules“ gebildet ist; welche Werke beyde in der Villa Albani befindlich sind. In dieser Stellung mit
aufwärts gerichtetem Haupte wird dessen Gesicht mit einer frohen Ueberdenkung seiner vollbrach-
ten großen Thaten beschäfftiget gewesen seyn; wie selbst der Rücken, welcher gleichsam in hohen
Betrachtungen gekrümmet ist, anzudeuten scheint2. Die mächtig erhabene Brust bildet uns diejenige, 15
auf welcher der Riese Geryon erdrücket worden, und in der Länge und Stärke der Schenkel finden wir
den unermüdeten Helden, welcher den Hirsch mit ehernen Füßen verfolgete und erreichte, und durch
unzählige Länder bis an die Gränzen der Welt gezogen ist. Der Künstler bewundere in den Umrissen
dieses Kör[744]pers die immerwährende Ausfließung einer Form in die andere, und die schwebenden
Züge, die nach Art der Wellen sich heben und senken, und in einander verschlungen werden: er wird 20
finden, daß sich niemand im Nachzeichnen der Richtigkeit versichern kann, indem der Schwung,
dessen Richtung man nachzugehen glaubet, sich unvermerkt ablenket, und durch einen andern Gang,
welchen er nimmt, das Auge und die Hand irre machet. Die Gebeine scheinen mit einer fettlichen Haut
überzogen, die Muskeln sind feist ohne Ueberfluß, und eine so abgewogene Fleischigkeit findet sich
in keinem andern Bilde: ja man könnte sagen, daß dieser Hercules einer höhern Zeit der Kunst näher 25
295 kommt, als selbst der Apollo1.

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Go malete ihn Artemon. Plin. L. 35. c. 40.
2 Es kann kein spinnender Hercules seyn, und ich entsinne mich nicht, wo jemand will gefunden haben, daß Raphael indem-
selben diese Stellung gesehen a) [.]
a) Batteux Cours de bell. lett. T. 1. p. 66. [744]
1 Gewisse Vergehungen der Scribenten verdienen kaum bemerkt zu werden, wie diejenige ist, welche Le Comte machet a), bey 35
welchem der Bildhauer des Torso Herodotus von Sicyon heißt. Pausanias gedenket eines Herodotus von Olynthus, aber
niemand kennet einen Bildhauer dieses Namens von Sicyon. Der Sturz einer weiblichen Figur in Rom, welche nach besagten
Scribentens Vorgeben alle andere Statuen an Schönheit übertreffen soll, und für ein Werk eben desselben Künstlers gehalten
worden, ist mir nicht bekannt. Ein anderer sagt b), dieser Apollonius sey auch der Meister von der Dirce, dem Zethus und
Amphion: welches völlig falsch ist.
a) Cabinet, T. 1. p. 20.
b) Demontios del Sculpt. antiqu. p. 12. [745] 40
 
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