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Winckelmann, Johann Joachim; Balensiefen, Lilian; Borbein, Adolf Heinrich [Hrsg.]; Kunze, Max [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Hrsg.]; Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Winckelmann-Gesellschaft [Hrsg.]
Schriften und Nachlaß (Band 4,5): Statuenbeschreibungen, Materialien zur "Geschichte der Kunst des Alterthums", Rezensionen — [Mainz am Rhein]: Verlag Philipp von Zabern, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.58927#0207

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GK2 XVI/XIX

Vorrede von Justus Riedel, 1776

183

I. Vorrede von Justus Riedel, 1776 (2. Teil)
[Fortsetzung der Vorrede GK TextS. XVII-XXVII: „Ueberhaupt sind die mehresten Scribenten in diesen Sachen, wie die
Flüsse, welche aufschwellen, wenn man ihr Wasser nicht nöthig hat, und trocken bleiben, wenn es am Wasser fehlet.“]
[XVI] Diese Unheil e über einige Scribenten von der Kunst sind nicht aus Tadelsucht geflossen, welche
keine Stelle in Winkelmanns edler Seele fand; sondern der Verfasser deutet auf die neue Straße, die er
bahnen will, indem er die vor ihm betretenen Wege anzeiget, und erweiset, wie weit alle Wanderer auf
denselben sich von dem erhabenen Ziele eines Geschichtschreibers der Kunst entfernt haben. Er hat, den
einzigen Keyßler ausgenommen, keinen seiner Landsleute genannt; vielleicht, weil unter denen, die damals
geschrieben hatten, seiner [XVII] Meynung nach, es keiner verdiente, und die, welche es etwa verdient
hätten, damals noch nicht Schriftsteller über die Kunst waren. Indessen konnte ihm doch der Professor
Christ in Leipzig nicht unbekannt seyn, der erste, welcher in Deutschland die Felder des Alterthums mit
Geschmack bearbeitete. Die archäologischen Vorlesungen dieses Mannes gehen häufig in der Handschrift
herum, und werden von den neuen Schreibern geplündert: es wäre daher gut und löblich, solche im Drucke
der Welt vorzulegen, damit die Krähen kenntlich würden, die sich bisher mit Christs Federn geschmückt
haben.
Man studirte in den vorigen Zeiten die Alterthümer bloß, um zu wissen, und da derjenige der
gelehrteste war, der am meisten wußte, so kam es nur darauf an, viel zu wissen, ohne zu untersuchen,
wie viel, oder wie wenig von diesem Vielen nützlich sey. Daher entstand das Geschlecht der gelehrten
Mikrologen, die, wenn sie alles zusammengetragen hatten, was irgend über die Dreyfüße und Lampen
und Schuhe und Kleider der Alten von den Alten und Neuern gesagt worden war, noch zu verzweifeln
schienen, daß sie nicht mehr gefunden hatten, als dies wenige.
[XVIII] Man kann unmöglich glauben, was einige Weisen behaupten wollen, daß eine jede Kenntniß
schon um ihrer selbst willen ein Gut sey, welches man suchen müßte; nichts ist gut als was nützlich ist,
und eine Kenntniß, von deren Nutzen sich gar nichts begreifen läßt, ist allenfalls nur in sofern ein Gut,
wiefern sie einige müßige Köpfe beschäfftiget, die vielleicht sonst in den Stunden dieser Beschäfftigung
entweder etwas Böses gethan, oder wenigstens etwas Arges gedacht hätten. Soll also das Studium des
Alterthums der Aufmerksamkeit eines Weltbürgers würdig seyn, so muß es irgend einen nützlichen
Einfluß haben, es sey in die Geschichte der Menschheit, oder in die Verfeinerung des Geschmacks. Und
von dieser Seite hat Winkelmann seinen Gegenstand betrachtet, nach diesem Grundsätze ihn behandelt.
Wann ihn sein Enthusiasmus hingerissen hatte zu der Bewunderung, zu dem Anstaunen der Werke der
Kunst; wann ihm seine feine Empfindung jede Schönheit im Kleinen gezeigt hatte; wann sein gelehrtes
Auge der Empfindung zu Hülfe gekommen war, um die Weisheiten des Künstlers zu entdecken, die
weder der kalte Angaffer, noch der modische Kenner entdecket: dann wurde seine Forschbegier gereizt,
zu fragen: diese große Kunst, wie ist sie entstanden? Wie bis zu diesem hohen Grade der Vollkommenheit
gediehen? Wie untergegangen? Gleichwie die Lehre von der Erkenntniß des [XIX] des Schönen und
das Anschauen desselben den Geschmack bildet, die Sitten verfeinert, die Wildheit verbannet: also ist
die Beantwortung der drey angezeigten Fragen so sehr mit der Geschichte der Menschheit verwickelt,
daß selbst diese ohne eine Untersuchung vom Ursprünge und Fortgänge der Künste nicht vollständig
 
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