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747

versichern, lieber Jacob. Neilich zum Beispiel jeh ick in't Theater. Ick
schwärme nämlich barbarisch vor de Kunst. Vor mir steht jrade so'n recht
dickjefrcsscner Schöneberjer Bauer, der ooch Wat vor seine höhere Bildung
duhn will, rin. An de Diehre fragt ihn der Diener, natierlich hochdeitsch:
„Mein Herr, ist Ihnen vielleicht ein Glas gefällig?"

„Ach nee", antwordt der Dicke, „ich danke Ihnen, dct is nich neethig,
ick drinke aus de Pulle!"

Sechste, lieber Jacob, det war doch een Zeichen edelster Bescheidenheit,
un wenn Eener noch nich mal een Opernjlas von een Schnapsjlas unter-
scheiden kann, denn is Polen noch lange nich verloren. Ick habe et aber
immer jesagt, wenn De de Menschen richtig kennen lernen willst, denn mußte
se bei ihren Drang nach Bildung beobachten,

womit ick verbleibe erjebenst un mit Bitte Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Sticbcr's Gcisterstimmc.

(An den abgesetzten Polizeirath Krüger.)

Sieh her nun, mein trefflicher Kollege,

Wir müssen wandeln oft dornige Wege,

Und haben wir uns den Fuß verletzt,

So werden zum Schluffe wir abgesetzt.

Einst machte mir der Prozeß zw Köllen
Den Muth nicht gar so besonders schwellen,
Und in dem Prozeß zu Elberfeld,

Da war cs für dich nicht behaglich bestellt.

Sic lvolleu's versuchen mit andern Systemen
Und wollen zum alten sich nicht mehr bequemen;
Es scheint, als ob in Wupper und Rhein
Prozcß-Seeschlangen nicht richtig gedeih'».

Leicht wird man verkannt in diesen Zeiten
Und sinkt in der Meinung bei den Leuten;
Jedoch das dankbare Vaterland
Wird Alles wieder setzen in Stand.

Wir sind ein Stück von der Zeitgeschichte,
Wir leben fort in Roman und Gedichte,

Und späte Enkel oft forschen gch'n:

Wie haben die Leute wohl ausgesch'n?

Um unser Andenken aufzubewahren,

Wird man weder Mühe noch Kosten sparen;
In Nürnbergs german'schem Museum, juchhei!
Wird aushängen man unser Konterfei!

Hobelspähne.

Herr Herrfurth hat sich umsonst gefreut, als
er zu entdecken glaubte, die Sozialdemokraten seien
Leute, die nicht arbeiten wollen. Die Wahl-
agitation und ihr Resultat beweisen, daß die Sozial-
demokraten ganz energisch zu arbeiten verstehen.

*

Wie ist die Norddeutsch-Allgemeine
Doch Plötzlich im Schweigen so groß,

Die jüngst noch verschluckte die Hammersteine,
Sie fürchtet der „Kreuzzeitung" Loos.

* *

*

Daß das Sozialistengesetz zu Wasser
wurde, war schon sehr schlimm für die Reaktionäre,
das größte Malheur bestand aber darin, daß auch
noch das rothe Gespenst mit seiner Norddeutschen Allgemeinen Wahlparole

in dieses Wasser fiel und jämmerlich darin ertrank.

* *

*

Es scheint mir, sie sind noch nicht umgebracht,

Die Sozialisten, die schlimmen!

Obgleich man schon lange sie mundtodt gemacht,

Bekommen sie immer mehr Stimmen!

* *

-t-

Die Verhaftung des Redakteurs Spangenberg in Stuttgart zeigt
lvieder recht deutlich, daß es die Männer der Opposition der Behörde nie-
mals recht machen können. Wenn inan sie wegen dessen, was sie sagen,
nicht einsperren kann, sperrt man sie ein wegen dessen, was sic nicht sagen.

* *

*

Ernsthaft, offen hat das Volk gesprochen
Diesmal in den lust'gen Faschingswochen;

Den Kartellern in der stillen Kammer
Bleibt der Aschermittwochs-Katzenjammer!

* *

*

„Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht" — dieses Sprich-
'i wort scheint sich auch auf die Krüger anwenden zu lassen, denn Polizeirath
Krüger soll so gebrochen sein, daß er „aus Gesundheitsrücksichten" nicht mehr
auf seinen Posten in Berlin znrückkehren kann.

* *

„He, Kellner! schnell ein Glas Lethe her!"

So schreit nach dem Wahlsieg der Reaktionär,

„Damit ich vergesse, was in den Wochen
Der Agitation ich den Wählern versprochen."

* *

*

Der diesmalige Reichstag wurde in der Fastenzeit gewählt. Möge
er trotzdem das Seine dazu beitragen, daß die Lebensmittelvertheuerung,
die das Volk zum Fasten zwingt, recht bald ihr Ende erreicht.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Haft und verderbt aussehenden jungen Manne, der neben ihni saß. Dieser
Mensch erschien Laura als die verkörperte Verderbniß, so frech und blasirt
sahen seine Augen auf die Bühne hinab.

Der Oberkellner hatte also Recht gehabt. Frau Pieske wußte sich kaum
mehr zu fassen. Ihre Pulse gingen >vie im Fieber. Aber sie wollte aus-
harren und sehen, wie ihr Gatte sich verhalten würde an diesem Orte, den
er so oft vervehmt.

Der Vorhang ging auf und — Frau Piefke wäre beinahe in Ohn-
macht gefallen — ein vollständiges Ballctkorps erschien. Nein, daheim in
ihrem Landstädtchcn, da hätte man nicht geglaubt, daß so etwas möglich
wäre! Diese Damen waren allerdings in Trikots, allein sonst hatten sie
nur ein ganz dünnes und nicht einmal bis an's Knie reichendes Röckchen
von Gaze an, dünner als Lauras Schleier, und ein Mieder, das so tief als
möglich ausgeschnitten war. Und wie sie herumfuhren, wie sie die Beine
schlenkerten, wie sie sich ausbogen und auf einem Bein sich drehten, daß die
dünnen Gazeröckchen hochflogcn, wie sie sich mit glühenden Blicken und sehn-
süchtigen Bewegungen verfolgten - oh, das war zu viel, Laura schloß die
Augen, sie glaubte sich in einem Traume zu befinden. Als sie die Augen
wieder öffnete, fiel ihr Blick auf ihren Mann. Dieser sah nicht etwa bei
Seite, sondern den Tänzerinnen durch einen Operngucker zu; er hatte sich
also auch damit ausstaffirt, um Alles besser beobachten zu können!

Der blasirte junge Mensch sagte Piefke etwas in's Ohr, worüber dieser
einen Lachanfall bekam, daß er alle Mühe hatte, um nicht zu laut zu werden.

Arme Frau Piefke! Welch' schreckliche Enttäuschung! Sie hatte ihrem
Mann durch ihre unerwartete Ankunft eine Freude bereiten wollen und nun
fand sic ihn an dieser Stätte unter lauter verderbten Menschen, denn Nie-
mand schien ihre Entrüstung über diese Tänzerinnen zu theilen.

Aber das Schlimmste sollte noch kommen. Die Tänzerinnen gingen
ab bis auf Eine, eine üppige Erscheinung mit vollen Gliedern, dichtem
schwarzen Haar und brennenden Augen. Sie begann einen Solotanz so
schmachtend und warf dabei so zärtliche Blicke in die erste Rangloge, daß
Laura ganz ängstlich zu Muthe ward. Ihr schien immer, als schaute die
verführerische Tänzerin nur ihren Gatten an. Zum ersten Mal erwachte
in ihr ein Gefühl, das sie noch nie gekannt, nämlich die Eifersucht. Unwill-
kürlich ballten sich ihre kleinen Hände zusammen. Sie hätte diese Sirene
mit ruhigem Blut viertheilen sehen können.

Soeben kam die Tänzerin graziös auf den Fußspitzen an die Rampe
und voltigirte dann mit kühnem Schwung zurück — das Solo war zu Ende
und das Publikum brach in einen Beifallssturm aus. Sic verneigte sich
tief, Laura aber sah auf ihren Gatten und — kaum glaublich, sie sah, wie
derselbe sich über die Logcnbrüstung vorbcugte und einen Kranz mit kostbarer
Schleife auf die Bühne warf. Die Tänzerin nahm den Kranz auf und
dankte dem Verehrer mit einem Blick — o dieser Blick! Laura ward es
dunkel vor den Augen.

„Na, der wird wohl mit der Tänzerin heute noch soupiren", sagte eine
Stimme in der Loge nebenan. Laura horchte gespannt.

„Wer?" srug eine andere Stimme.

„Der den Kranz geworfen hat", sagte die erste Stimme. „Der läßt
sich's was kosten, das war ein Kranz für fünfzig Mark!"

O dieses Berlin! So weit hatte cs den frommen und sonst so spar-
samen Piefke schon gebracht.

Die Vorstellung war zu Ende, Laura eilte hinab in's Vestibül. Dort
mußte er ja vorbeikommen! Jawohl, in heiterster Laune kam er mit dem
Blasirten die Treppe herab.

„Wir wollen warten!" sagte er. Offenbar wollten sie die Tänzerin erwarten.

Da legte sich eine Hand auf Piefke's Arm; wie vom Blitze getroffen
fuhr Piefke, als er sich umwendcte, zusammen, er sah in die rollenden und
funkelnden Augen seiner Gattin!

Tableau!

Mit einer Stimme und einem Ton, wie er sie nie von ihr vernommen,
sprach sie:

„Du wirst mit mir soupiren!"

Der Blasirte verschwand schleunigst . . .

lieber das, was an diesem Abend zwischen den Gatten vorgegangen,
wollen wir den Schleier der Verschwiegenheit decken; nur so viel wollen
wir verrathen, daß Herr Piefke sich vergeblich mit dem Argument zu decken
suchte, wer der Verderbniß steuern wolle, der müsse sie an Ort und Stelle
studiren! Böse Zungen behaupten, man hätte am andern Tag in Herrn
Piefke's Angesicht einige kleine Verletzungen, wie Kratzwunden, wahrgenommen.

In den Blättern aber stand bald darauf zu lesen, daß der langjährige
bewährte Abgeordnete Piefke aus Gesundheitsrücksichten kein Mandat mehr
annehme. Er war - parlamentsmüde geworden!
 
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