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778 -

Berlin, Ende April.

Lieber Jacob!

Dn meenst woll, dcl ick Dir mat von'n 1. Mai schreiben soll? Sechste,
Jacob, wie schlecht Du mir kennst! Weeß ick doch, bet Deine Pegasusse
jesattelt sind un loseisen vor'n 1. Mai dat de Funken spriehen! Da kann
ick nich mitmachen. bet ieberlassc ick den Schillern an der Pleiße, Isar un
Neckar. Aber vor de achtstindige Arbeetszeit demonstrir' ick ooch. In so
wat bin ick jroß, un wenn wat los is, denn muß ich damang sind, denn
ohne mir hat bet scheenste Fest fast jar keenen historischen Werth.

Wat uu de hohe Politik artbetrefft, so is unjlicklicher Weise nich ville
zu vermelden. Wir scheinen so in 'ne Periode des Rausjeschmissenwerdens
zu leben: Eijeen Richtern haben seine freisinnijen Parteibrieder in'n preiß'schen
Landdag ooch den Stuhl vor de Dhiere jesetzt, un nu steht er da un weeß
nich, ob er jrollen oder jrienen soll. Wäre er schlau, denn dhäte er det
Letztere, aber er zieht det Jrollen vor. Meinswejen, immerßu; denkst De
vielleicht, det ick mir deswejcn de Haare einzeln ausreiße? Hast Du 'ne
Ahnung, Jacob! Aber natierlich in de freisinnige Presse, da leest De nischt
von Streit oder so wat, ih, keene Spur, da seht et Dir so aus, als ob
Alles een Herz un eene Seele wäre.

Aber det kann ick Dir sagen, in unsere Partei sollen mal Zwee 'ne
kleene Differenz kriegen, oder et soll mal Eener den Anderen 'n bisken an-
schnauzen, wat doch in de feinste Familien Vorkommen kann — na, denn
reißen Dir doch de Freisinnijen jleich ihre Futterluken uff, det sich een
Möbelwagen drin umdrehen kann. Denn leest De in ihre Zeitungen von
die „Spaltung in der sozialistischen Partei", von die „tiefgehenden Differenzen,
die zu einein offenen Bruch fuhren müssen", un wat dergleichen hochdeitsche
Spitzfindigkeiten mehr sind. Oste habe ick ja schon drieber jelacht, aber
manchmal habe ick mir ooch schon jeärjert ieber sonne Dämlichkeit, denn
wenn sich een verninftijer Mensch ooch aus die ollen freisinnijen Oualm-

tuten nischt macht, so jiebt et aber doch immer noch Brummochsen jenug,
die jloobcn, et is wirklich wat Wahret dran.

Doch wir wollen uns Beede nich uffregen, da werden wir blos häßlich
von, un det wäre wirklich schade um so'n Paar hübsche Jungens, wie wir
Beede sind. Wir wollen lieber von wat Reellst und Jediejenet reden.
Sechste, Jacob, de Sonne hat schon een paar Mal so jemiethlich uff meinen
Puckel gebrannt, det ick wirklich dachte, wir sind schon mitten in'n Sommer,
so richtig mang de Saurcjurkenzeit. Aber de Zeitereignisse, die lassen doch
den richtijen Jlooben an die Ruhe der Saurejurkenzeit noch nich uffkommen,
de Sonne is det Eenzigste, wat dran erinnert. Ick frei' mir immer uff
den Sommer un det Frichjahr, et is doch wat änderet als der olle, muffige
Winter. Wat meenste denn, Jacob, wenn wir erst rausjondeln nach die
Loküle, wo jroß un breet dransteht: „Hier kennen Familien Kaffee kochen".
Et jiebt doch uff de janzc Welt keen scheeneret Jefiehl, lieber Jacob, als
wenn De Dir so in'n Schatten von 'ne Akazie, die de Blätter ausjejangen
sind, so'n Sticker dreizehn Tassen Kaffee — jemeine Kerrels nennen den
Jöttertrank „Lorke" oder jar „Schusterpunsch", na, haben die 'ne Ahnung —
un siebzehn Sticke Kuchen dazu rinjeholfen hast, un Du saltst denn Deine
Hände ieber'n Bauch, laßt den Kopp uff de Brust sinken, klappst de Oogen
zu, un sangst an, an Nischt zu denken — Jacob, sage et mal selbst, jiebt
et woll wat Erhabeneret oder Jrößcret uff de Welt?

Sechste, so leben wir hier in'n Sommer, alle Sonntage. Wenn der
Kaffee ooch 'n bisken dhcier is, na, denn helfen wir jeniegsame Staatsbirjer
mit 'n bisken Cichorie nach — wat schad't denn det; de Hauptsache is, det
wir immer rejelmäßig un Pinktlich unsere Steiern bezahlen kennen, denn
sonst holt uns der Exkuter unsere Paar Lumpen weg — un wat wir in'n
Leibe haben, det kann uns ja keen Mensch ansehen, da brauchen wir naticr-
lich ooch nich so ville Jcld vor auszujebcn. Sechste, so liegen de Verhält-
nisse hier bei uns, wie et bei Eich is, weeß ick natierlich nich, aber ick jloobe,

Die Arbeit.

Zlestspist in vier Szenen.

Von I. Stern.

Personen:

Paul Werner, ein Arbeiter.

Marie, seine Frau.

Röschen, \ {r Äinber,

Karl, ) '

Der Genius der Industrie.

Der Genius der Kunst.

Der Genius der Wissenschaft.

Die Göttin der Arbeit.

Ort: Lichtung eines Waldes in der Nähe einer Industriestadt.
Zeit: i. Mai isso.

1. Szene.

(Werner, gebeugt und langsam gehend und schwer Athem
holend, ab und zu hustend, auf den Arm seiner Frau gestlltzt.
Nicht weit von ihnen die Kinder spielend.)

Marie. Dort seh' ich eine Bank von Holz.
Du wirst müd' sein, Paul.

Werner. Ja, ich bin sehr müde. (Hustet.)
Marie. Du bist das lange Laufen nicht mehr
gewohnt. Aber die Luft wird dir gut thun.

Werner. Wahrer Balsam. Wenn in den
Fabriken und Arbeiterwohnungen die Luft nur den
zehnten Thcil so gut wäre, wäre ich schwerlich krank
geworden.

Marie. Das mag wahr sein. Nun, der Früh-
ling wird dich kuriren; ich habe mehr Vertrauen
zu ihni, als zum Kassenarzt.

(Beide setzen sich auf die Ruhebank.)

(Röschen und Karl kommen herbelgesprungen, erstere mit
einem Maiglöckchen.)

Röschen. Papa, riech' einmal, wie das gut
riecht. Ich hab's im Wald gefunden.

Karl. Nicht wahr, ich hab's zuerst gesehen,
aber Röschen hat es mir vor der Nase weggeschnappt.

Marie. Ich sollte jetzt wieder ins Geschäft.
Kann ich Dich allein lassen, Paul?

Werner. Die Kinder sind ja da. (Man hört
ein Posthorn in der Ferne eine elegische Melodie blasen.)
O Marie, wie schön wär's, wenn ich wieder gesund
wäre und wir Zeit hätten, jeden Tag mit einander
in den Wald zu gehen. Ncichthum macht nicht
glücklich, sagt man. Aber Armuth macht unglücklich.

(Hustet heftig.)

Marie. Red' nicht so viel, Paul, es thut dir
nicht gut. Vielleicht kannst du ein wenig schlafen.
Die Vögel werden dich in Schlummer singen.
Werner. Ich will'« probiren.

Marie. Adieu, Kinder, spielt schön und seid
brav. Macht keinen Lärm, damit der Papa schlafen
kann. Adieu, Paul, in ein paar Stunden komm'
ich wieder und hol' euch. (Geht ab und kommt gleich

drauf zurück.) Beinah' hält' ich daran vergessen.
(Zieht ein Fläschchen und eine in Papier gewickelte Wurst aus
der Tasche und legt sie auf die Bank.) Ich hab's mitge-
nommen, falls du Hunger und Durst bekommst.
Die Kinder haben schon ihr Brot. Adieu noch-
mals. (Geht ab.)

Werner (allein). Wackres Weib! Wie wird's
ihr gehen, wenn ich unter dem Rasen liege! (Wischt

sich eine Thräne ab. Er versinkt allmälig in Brüten und
schläft ein. Die Kinder sind in den Wald gesprungen und
nicht mehr sichtbar.)

2. Szene.

(Der Genius derJndustrie kommt unvermerkt herbei und
erblickt den schlafenden Kranken. Sein Antlitz nimmt einen
wehmüthigen Ausdruck an.)

Genius der Industrie.

Ein Opfer mehr zu vielen Hunderten!

Wie seine Wangen glüh'n! Es sind die Rosen,
Womit die Schwindsucht ihre Opfer kränzt,

Der tück'sche Feind des Proletariats.

Wie viele raffte sie ins frühe Grab! —

O Arbeit, Mutter alles Gliicks und Segens,

Du jedes Guten, Schönen Schöpferin,

Die du den Mangel abwehrst und die Noth,

Den Menschen Schutz gewährst, den Frieden gründest,
Ihm tausend neue Freudenquellen öffnest:

Was lässest du die eignen Kinder darben
Und schüttest andern launig in den Schoos
Die reichen Gaben, die sie emsig schaffen?

Warum sind deine Kinder ausgestoßen

Vom Kreis der Glücklichen, und schwer bedrängt

Bon Mangel, Noth und Elend, Ungemach,

Die zehren an dem Lebensmark, die Flamme
Des Lebens vor der Zeit verlöschen lassen! —
Den Ueberfluß erzeugen sie, dafür
Ist die Entbehrung ihr alltäglich Loos.

Sie bauen herrlich prangende Paläste
Und wohnen selbst in dumpfen, engen Räunien,
Wohin nur spärlich dringt das goldne Licht
Und reine Luft die Lungen nicht erquickt.

Des Leibes Nahrung, Trank und Speise auch,
Sind kärglich, dürftig ihnen zugemessen.

Nicht funkelt perlend in krystall'nen Römern
Der Rebe Feuerblut auf ihrem Tisch.

Und von den Früchten an des Wissens Baum
Ist ihnen flüchtig kaum vergönnt zu naschen,

Zu nippen kaum am süßen Quell der Kunst!

(Man hört Vogelgesang.)

Gar lieblich tönt das Lied des kleinen Sängers,
Der sorglos munter hüpst von Ast zu Ast.
Zugvögeln gleich muß auch der Arbeitsmann
Gar oft von einem Ort zum andern pilgern.

Doch ihm nicht wohnet Frohsinn in der Brust:
Begleiter sind ihm Müdigkeit und Hunger;

Um dürft'ge Zehrung muß er schüchtern flehen,
Von Thorheit und von Hochmuth schnöd verachtet,

Vom Argwohn stets belauert und verfolgt;
j Erbärmlich ist sein Obdach, hart sein Lager. —

Wie würzig weht des Wald's balsam'scher Hauch!
Wie labt den Blick das junge Grün der Birken!
Gesundheit trinken lechzend hier die Menschen,
Wenn sie ihr mühsam Tagewerk vollbracht.

Wie selten aber ist den Arbeitsleuten
Zu athmen hier gegönnt und zu entflieh'n
Dem gift'gen Staub und Dunst iit bett Fabriken.
Ins Joch der Arbeit bleibt er eingespannt
Biel länger als die flinken Sonnenrosse. —

Ein Segen für den Menschen ist die Arbeit,

Im Müßiggang verkümmern Leib und Seele;
Doch wird sie unheilvoll für Leib und Seele,
Wenn ohne Maß sie aufgebürdet wird.

Der Arbeit Uebermaß ist Sklaverei.

Des Tages Drittheil soll die Grenze sein,
AchtStunden soll sienimmerüberschreiten.

8. Szene.

(Der Genius der Kunst und der Genius der Wissen-
schaft treten aus.)

Genius der Kunst.

Wir hörten lange seufzen dich und klagen;

Was ist's, das dich betrübt an diesem Tag,

An dem des Frühlings Odem wonnig weht
Und Frieden säuselt durch die schöne Welt?

Genius der Industrie.

Das Loos des Arbeitsvolks bekümmert mich.

Hier liegt er krank und trägt den Tod im Herzen,

Ein Opfer des Berufs, der Ueberarbeit

Und schlechter Nahrung, ungesunder Wohnung,

Wie viele, ach! so viele seinesgleichen. —

(Die beiden Kinder zeigen sich in der Ferne, werden aber
bald wieder unsichtbar.)

Dort schweifen seine Kinder, holde Wesen!

Die Mutter mußte sie und ihn verlassen,

Für kargen Lohn zurück zur Arbeit kehren.

Der Arbeitsleute Sprößlinge, sic sind

Ach meist verwaist noch bei der Eltern Leben.

Die Knaben selbst und Mädchen, zarten Alters,
Sie werden eingeschirrt ins Arbeitsjoch.

Zerstört wird also das Familienglück,

Das süße Band gelockert und zerrissen

Und in die Menschenknospe kommt der Wurm.

Das Volk hat von der Arbeit nur dev

Stachel,

Den Honig nicht; die Mühe, nicht dev

Segen.

Genius der Kunst.

j Gerecht, doch fremd nicht sind mir deine Klagen;
Ich habe gleicher Weise schon geseufzt.

So mancher Jünger auch der schönen Künste
Ist besser kaum gebettet, ist Genosse
 
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