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851

Ick folgte seinem Beispiel un fand, det det Schubbern uff die Art eene
sehr anjenehme Beschäftijung war.

Nu fing er uff det politische Jcbiet icber un ick setzte mir in Positur.

„Wie denken Sie ieber unsere russischen Beziehungen, Herr Naucke?"
fragte er wieder usi Plattdeutsch.

„Hm, hm", sagte ick un plinkcrte mit de Oogen wie 'ne Jans, die eben
Wasser jedrunken hat.

„Aha", sagte er, „ick verstehe schon", un schrieb sich eenen janzen Haufen
von Makulatur in sein Notizbuch.

Ick fiehlte mir riesig jeschmeichelt un berechnete im Stillen, wat die
Auslassungen von den Redakteur woll vor eenen Jndruck uff det russische
Kabinet machen wirken. Man konnte ja nich wissen, ob Väterken durch
mein Oogenplinkcrn dazu veranlaßt werden könnte, die Ostseeprovinzcn an
mir abzutreten un det russische Volk die längst jewinschte Verfassung zu jeden.
Ick sah schon iin Leiste, wie mir eene mit Eichenlaub bekränzte Ehrenpulle
mit Ehrenwutki ieberreicht wurde, un wollte eben im Leiste schon eenen
orndtlichen Hieb nehmen, da fragte mein Jcjenieber:

„Na, un mit Frankreich?"

Die Frage traf mir 'n Bisken unvermuthet. Aber kurz entschlossen,
steckte ick beede Hände in de Hosentaschen, klapperte inwendig mit meine
Schlisse! un kratzte mir mit meine linke Stiebelspitze den rechten Knechsel.

„Also so liegt die Sache", sagte der Jnterjuer, „ih, sehn Se doch mal
an, Herr Naucke, in Pimpelberg hatte man bis jetzt eene janz andere An-
sicht von die Sache; ick jloobe aber, det Sie ville dazu beidragen werden,
de öffentliche Meinung hier zu klären."

Ick verbeugte mir höflich un meente, det et keen Zweifel mehr unter-
lieje, det de Franzosen de Revanchejelüste uffjeben würden.

Ick jloobe, sowie der Pimpelberjer Anzeijer nach Paris kommt, setzt
sich Deroulcde hin, un dichtet eene französische Uebersetzung von de Wacht
am Rhein. De Franzosen spannen ihre Artillerieferde aus un der Präsident
der Republik bringt se nach Berlin, wo sc for de Droschken zweeter Jicte
'ne janz brauchbare Verwendung finden. Von Barackenbauten un Pikrin-
bomben is keene Rede mehr, der deitsche Wähler wird durch solchen Zauber
nich mehr beunruhigt un kann von jetzt ab wählen wie er will.

Iber England wollte der Pimpelberjer Redakteur von mir nischt wiffen,
indem er sagte, det er ieber dieset Land aus sicherster Quelle janz zuverlässije
Informationen habe. Vor fünf Jahren war nämlich een engelscher Seesen-
sicder in Pimpelberg jewesen, un der hatte da immer in eenen Bach jeangelt,
wo sich seit Menschenjedenken keen Fisch hatte blicken lassen. Der Redakteur
hatte da stundenlang zujekiekt, un verzichtete in Folje dessen uff meine Aus-
lassungen.

Det ick ihm ieber unsere innerpolitischen Anjelejenheiten nich den Staar
stechen konnte, jeht schon daraus hervor, det er mit den Amtsdiener von den
Landrath bei een un derselbe Kind Jevatter jestanden hatte. Er wußte also
Alles ebenso jenau wie ick.

Nachdem er Alles, wat er uffjeschrieben hatte, nochmal durchjelescn
hatte, fragte er noch, ob ick ihm nich zufällig sagen konnte, wat in Berlin
oogenblicklich der Scheffel Kartoffel un de Fuhre Mist kost't. Ick informirte
ihn darieber, un er verduftete.

Sechste, Jacob, det war mein erstet Jnterjuh un ick jloobe mir dabei
jloorreich benommen zu haben, womit ick verbleibe erjebenst un mit ville
Jrieße aus de Fremde

Dein treier

Jotthils Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Diese Methode ist allerdings nicht ganz neu, und ich kann mir deshalb
leider kein Patent darauf geben lassen; denn bei den Berechnungen, welche
in den Blättern über die Arbeitslöhne im Verhältniß zum Kapitalprosit
häufig angestellt, den Zahlenkunstflücken, welche zur Verthcidigung der herr-
schenden Wirthschaftspolitik angewendet werden, wird bereits vielfach nach
dieser Methode verfahren.

Leichter ist die Sache im Unterricht der biblischen und derprofanen
Geschichte. Schon beim Sündenfall kann man den Buben erklären: Sehet,
so wie es Adam und Eva verboten war, vom Baum der Erkenntniß zu
essen, so sollet ihr nicht essen vom Baum der Sozialdemokratie und sollet
ihre Blätter meiden und sollet nicht hören auf die Schlangen, nämlich die
Agitatoren, die da oft sind Alligatoren (war sagen Sie zu diesem
geistreichen Wortspiel?), denn sonst gehen euch die Augen auf und ihr sehet,
daß ihr nackt seid; aber das sollet ihr nicht sehen und nicht wissen.^— In
der profanen Geschichte muß man Vergleiche ziehen zwischen den Sklaven
de« Alterthums und den Lohnarbeitern der Gegenwart und das LooS der
ersteren weit schwärzer malen, als es in Wirklichkeit war, denn sonst könnten
die Rangen leicht auf den Gedanken kommen, die griechischen und römischen
Sklaven hätten eS in mancher Beziehung besser gehabt als sie, da sie wenig-
stens jederzeit Obdach und Futter hatten, weil sie Eigenthum des Herrn
waren und viele hundert Silber- oder Goldstücke werth waren, wie die
Pferde und Hunde der jetzigen Kapitalisten, für deren Gesundheit und Leben
sie zärtlicher besorgt sind, als für die Gesundheit und das Leben ihrer
Arbeiter. — Beim Sklavenaufstand des Spartakus liegt die Parallele mit
den Arbeiterunruhen auf der Hand.

Eine Perle der historisch pädagogischen Arbeiterdressur ist die bekannte
Fabel vom Magen und den Gliedern, welche der Bauernfänger Menenius
Agrippa den Plebejern erzählte, als sie auf den heiligen Berg gezogen waren
nnd streikten. Die Tölpel ließen sich wirklich vorspiegcln, die Patrizier wären
wie der Magen, der seine besten Säfte an die Glieder abgiebt.

Unglückliches Loos.

Den Hessen hat's wieder an Licht gefehlt,
Einen Antisemiten, o Jammer,

Den haben sie jüngst durch's Loos gewählt
In ihre zweite Kammer.

O du mein theureS Hessenvolk,

Wann wirst du endlich genesen?

Es ist dein Loos, wie man cs auch zoci.
Noch immer unglücklich gewesen.

Hobelspähne.

Wenn die Rosen auch welken,

Es blühen die Nelken.

Sie blühen und wachsen
Gar duftig und roth,

Ja roth auch in Sachsen,

Trotz allem Verbot!

* *

*

Auf dem internationalen medizinischeu
Kongreß in Berlin wurden unter Anderem auch
die Forschungen über den Bazillus de« Chauvi-
nismus zur Sprache gebracht. Man hat entdeckt,
daß dieser Bazillus in den Fluthen wässeriger Rede»,
Toaste und Gedichte keineswegs zu ersäufen ist und
ebensowenig durch den bei Schlachtscstfcicrlichkeiten
reichlich angewandten Alkohol stirbt, sondern sich
in dieser Atmosphäre ganz wohl fühlt. Dagegen hat sich gezeigt, daß die
Ansteckungsgefahr bei diesem Bazillus eine geringe ist und daß er auf
dem Boden des gesunden Menschenverstandes keine Nahrung findet.

* *

*

Der Peters, schon als tobt beweint,

Er kommt nun heim mit Lachen —

Ein Kolonial-Reklameheld
Ist niemals tobt zu machen.

Die alte Garde des Zentrums findet in den heutigen politischen Kämpfen
ihr Waterloo. Ihr Führer Windthorst ruft den anstürmcnden Rcgicrungs-
truppen heldenmüthig zu: „Wir ergeben uns, aber wir sterben nicht".

* *

*

Den Helgoländern als Kommissar
Ward Gehcimrath Wermuth bestellt —

O mög' dies der einzige Wchrmuth sein,

Der in ihren Jubel sällt!

. Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

In der Moral muß als erste und höchste aller Tugenden die Zu-
friedenheit hingcstellt werden, was in der Gesangsstunde durch häufiges
Absingen des Liedes: „Freund, ich bin zufrieden, geh' cs wie es will", be-
kräftigt werden muß.

Im Aufsatz müssen Themata gewählt werden, wie: „Die Leiden des
ReichthumS und die Freuden der Armuth" — „Wer ani wenigsten bedarf,
ist den Göttern am nächsten" — „Reize der Dachstubenwohnungen" — „Die
Poesie des Hungers" — „Warum sind die Arbeiter den Arbeitgebern zu
Dank verpflichtet?"

HB. Ich bin z. Z. mit der Dichtung eines Liedes beschäftigt, welches beginnt:

Arbeitgcbcrlieb' ist ohne Schranken,

Arbeiter, nie
Belohnt ihr sie.

Aber danken könnt' und sollt' ihr, danken re.

Ich werde das Lied Herrn W. Funke widmen.

In der Deklamationsstunde sind besonders Poesien vorzuziehen, wie
„Johann, der muntere Seifensieder", durch welchen die Schüler mit Abscheu
gegen den Reichlhum und Liebe zur Armuth imprägnirt werden.

Sie sehen, liebwerther Kollega, daß ich mit Ernst und Eifer die uns
gestellte Aufgabe erfaßt habe und ich hoffe, damit bei Herrn Funke, dem ich
den Lehrplan zu unterbreiten gedenke, Ehre einzulegen. Unterstützen Sie mich
in dieser Sache, Arm in Arm wollen wir eine neue pädagogische Aera
inauguriren (wobei ich mir übrigens das Recht der Priorität Vorbehalte),
die Anerkennung seitens der Großindustriellen und der Be-
Hörden kann uns nicht fehlen. Schon sehe ich uns Beide als Schul-
räihe mit dem rothen Adler im Frackknopfloch. —

Gott besohlen, lieber Backel.

Ihr treuer Dackel.
 
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