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Nr. 108 des „Wahren Jacob" gelangt am 13. September 1800 zur Ausgabe,

85«

dem Ferdinand Lassalle in seinem berühmten „Offenen Antwortschreiben"
vom 1. März 1863 an das Leipziger Zentralkomitc den Arbeitern die Wege
gewiesen hatte.

Jork trat mit voller Energie für die neue Bewegung ein; er war auch
einer der Mitbegründer des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins. Ein so
begeisterter und opferfreudiger Bekenner der von Lassalle formulirten sozia-
listischen Forderungen Theodor Ijork aber bis zu seinem Lebensende war
und geblieben ist, so ist es doch für den durch und durch demokratischen
Grundzug seines Karaktcrs bezeichnend, daß er von der ersten Stunde an,
wo Lassällc das Organisationsstatut des Vereins vorlegtc, gegen die in dem-
selben konstituirte Präsidialdiktatur opponirte. Zwar konnte Jork mit seinen
ans Dcmokratisirnng der Organisation abzielcndcu Vorschlägen nicht durch-
dringcn, seiner Ucbcrzengnng aber gab er in demonstrativer Weise dadurch
Ausdruck, daß er bei der Präsidentenwahl einen unbeschriebenen, weißen
Zettel abgab. Diese Opposition ist gelegentlich der späteren Parteikämpfe
von Seite der starren Lassalleaner Jork oft und in bitterster Weise zum
Vorwurf gemacht worden; wir aber glauben, daß cs für die unerschütterliche
und karaktervolle Ueberzengungstreue des armen, einfachen Tischlergesellen
kein glänzenderes Zcugniß geben
kann, als dieThatsachc, daß er auch
gegenüber dem mit allen Mitteln
einer bevorzugten sozialen Lebens-
stellung und den glänzendsten
Geistesgabcn ausgerüsteten Lassalle
an seinen demokratischen Grund-
sätzen festhielt. Wie berechtigt übri-
gens die Befürchtungen Uork's
gegenüber der Präsidialdiktatur,
welche Lassalle für das Gedeihen
des Vereins und die Erreichung
der Zwecke desselben unumgäng-
lich nothwendig hielt, waren, zeigte
sich sofort, als nach dem erfolgten
Tode des großen Arbciteragitators
minder lautere Karaktere die Prä-
sidialwürde übertragen bekamen.

Lassalle selbst hat übrigens Park
seine oppositionelle Stellung nie
nachgclragen, sondern die trefflichen
Karaktereigenschaftcn des in seinem
Auftreten ebenso einfachen, als in
seinen Grundsätzen unbeugsamen
Mannes wohl zu schätzen ge-
wußt. Mehrere Briefe, welche
von Lassalle'sHand direkt herrühren
und an Pork gerichtet sind, und in
welchen crsterer besonders über eine
Anregung des letzteren, ein Ver-
einsorgan in's Leben zu rufen, sich
ansspricht, geben Zengniß dafür,
welchen Werth Lassalle ans die Rath-
schläge Jork's legte.

In der Agitation für die
Grundsätze der Sozialdemokratie
war Port unermüdlich; vor Allem
aber bewährte er sich als Organi-
sator. Bis zur Gründung der sozial-
demokratischen Partei Eisenacher
Programms 1869 gehörte er zum
Vorstand des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins. Mit Geib, Bracke
und vielen anderen hervorragenden
Mitgliedern des Vereins trat er
aus diesem aus, als die Haltung des Herrn v. Schweizer immer bedenk-
licher wurde. In der neuen Partei gehörte Port zur Kontrolkommission, als
deren Mitglied er 1870 in Harburg verhaftet wurde und nur mit genauer
Roth dem Schicksal des Braunschweiger Ausschusses, Geib's, Johann
Jacobh's rc., entging, stach Lötzen als Gefangener geschleppt zu werden.

Nach Beendigung des Krieges und der auf dem Dresdener Kongreß
vom 12. bis 15. August 1871 stattgefundenen Neukonstituirnng der Partei
wurde Pork als Parteisekretär in den Ausschuß gewählt, was seine kkeber-
siedelung von Harburg nach Hamburg zur Folge hatte. Zn gleicher Zeit
leitete Port die Gewerkschaft der Holzarbeiter und Tischler, welche er in's
Leben gerufen und an deren Spitze er mit unermüdlichem Eifer bis zu seinem
Tode wirksam war. Ans dieser Zeit der Thätigkeit Aork's schreiben sich
die Anfänge der heute so mächtigen und nach tausenden von Mitgliedern
zählenden größten zentralisirten Hilfskasse der Tischler und anderer gewerb-
licher Arbeiter her. Um die Gewerkschaftsbewegung zu fördern, rief Jork
ein eigenes Organ, die „Union", in's Leben und schuf er außerdem ans den
Gewerkschaftskongressen in Erfurt und Nürnberg 1872/73 eine Zentralisation
der verschiedenen Gewerkschaften, welche ebenfalls den Namen „Union" führte.
Als Parteisekretär war Jork vor Allem bestrebt, Organisation und Partei-
disziplin in die Massen zu bringen. Auf den Partcikongressen in Dresden,
Stuttgart, Mainz und Koburg befand er sich unter den offiziellen Referenten,
und die bei diesen Gelegenheiten von ihm gehaltenen Reden über den Normal-
arbeitstag, die Gewerkschaftsbewegung, Parteiorganisation und Disziplin,

und besonders der Vortrag am 19. Juli 1874 in Koburg über: „Ein neues
Arbcitsrccht" sind wahre Mustcrleistungen volksthümlicher Bcredtsamkeit.

Diese rastlose und aufreibende Thätigkeit, verbunden mit andauernden
wirthschaftlichen Sorgen — als Parteisekretär bezog Jork im ersten Jahre
monatlich 15 Thaler, welches Gehalt nach und nach auf 30 Thaler erhöht
wurde — hätte auch einen körperlich stärkeren Mann erschöpft, als Jork
einer war. Ein Nierenleiden machte sich von Jahr zu Jahr unangenehmer
bemerkbar; im Herbste 1873 nöthigte cs den unermüdlichen Vorkämpfer
des Proletariats seine Stelle als Parteisekretär niedcrzulegen und sich ans
seine Thätigkeit für die Leitung des Gewerkschaftsbundes und dessen Organs
zu beschränken. Bei den allgemeinen Reichstagswahlen 1874 kandidirte
Park im 22. sächsischen Wahlkreis Auerbach-Reichenbach und unterlag er
dort mit wenigen Stimmen Minderheit gegenüber seinem nationalliberalen
Gegner. Drei Jahre später wurde der Wahlkreis zum ersten Male von
der Sozialdemokratie erobert. Die Aufregungen und Anstrengungen des
Wahlkampfes trugen wesentlich zur Verschlimmerung des Krankheitszustandes
von Pork bei; während der Frühjahrs- und Sommermonate machte sich
das liebet zwar weniger bemerkbar und der ungemein Willensstärke Mann

machte auf den mit seinem Zustand
weniger Vertrauten keineswegs den
Eindruck eines Todtkranken. Als
aber der Herbst kam und die Blätter
sich gelb zu färben begannen, da
trat der körperliche Verfall von
Woche zu Woche sichtbarer zu Tage.
Port selber war sich über sein nahes
Ende vollständig im Klaren und
er sah seiner Auflösung mit Ruhe
und Gleichmuth entgegen. Ein
letzter freudiger Schimmer in seiner
Leidenscpoche wurde ihm noch durch
die damals in greifbare Nähe ge-
rückte Vereinigung der beiden bis
dahin feindlichen sozialdemokrati-
schen Fraktionen. Obwohl schwer
leidend, so daß er nur mit Unter-
stützung zu gehen und Treppen zu
ersteigen vermochte, ließ er cs sich
doch nicht nehmen, der ersten ver-
traulichen Besprechung zwischen
dem Ausschuß der Eisenacher Partei
und den von Tölke geführten Ver-
tretern des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins beizuwohncn. Die
formelle Vereinigung selbst sollte
Pork zwar nicht mehr erleben, ge-
legentlich seines Begräbnisses aber,
das am 4. Januar 1875 stattfand,
fanden sich die Vertreter der beiden
Richtungen brüderlich und nach
langen Jahren des Haders und
Zwistes wieder zum ersten Male
zusammen, und ein Mitglied des
Allgemeinen deutschen Arbeiter-
vereins war es, das am offenen
Grabe des Dahingcschicdeuen an
die deutschen Arbeiter die Anfforde-
rung richtete, dafür Sorge zu
tragen, daß die Frau und un-
mündigen Kinder des Verstorbenen
nicht die Sorge des Hungers kennen
lernen. Es war die erste große
öffentliche Demonstration, wo beide
Parteien geschlossen znsammcnwirkten. Fünftausend Männer bildeten den
Lcichenzng und über 20 Fahnen der verschiedensten Vereine und Gewerke
senkten sich ans das Grab.

Seitdem sind 16 Jahre verflossen, schwere Kämpfe und bittere Erfahrungen
hat die Sozialdemokratie in dieser Zeit erlebt, aber auch ans Erfolge kann sie
heute zurückblicken, wie sie in solcher Größe und in so kurzer Zeit wohl kaum
einer derjenigen erhofft hatte, welche trauernd am offenen Grabe Uork's standen.

Das Verdienst aber an diesem großartigen Aufschwünge der sozial-
demokratischen Bewegung, cs gebührt nicht blos den lebenden, sondern ein
gerüttelt volles Maß davon gebührt jenen unermüdlichen Streitern und
Kämpfern des Proletariats, welche zur Zeit, als man noch mit Hohn und
Spott auf unsere „hirnverbrannten" Bestrebungen herniedersah, die Fahne
des Sozialismus hoch hielten und jene kleinen Gemeinden sammelten und
organisirten, aus denen die große und heute das ganze öffentliche Leben be-
herrschende Arbeiterbewegung hcrvorgegangcn ist. Einer dieser unermüdlichen
Agitatoren und Organisatoren war aber Theodor Jork. Treuer und hin-
gebender wie er hat Keiner der Sache des unterdrückten Volkes, der Sache
der arbeitenden und werkthätigen Menschheit gedient. — Proletarier im
edelsten und besten Sinne des Wortes, gehörte er ganz dem Proletariat.
Für dasselbe hat er gelebt und es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn wir
behaupten, im Dienste desselben ist er gestorben.

Wenn die deutschen Arbeiter ihre Besten nennen, der Name Theodor
Port wird stets darunter sein.


Theodor Bork.

Redaktion: Georg Baßler; Druck und Verlag: I. H. W. Dietz; beide in Stuttgart.
 
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