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<§S®fo§ blickst du, Philisterlcin, gar so bang, Sei ruhig, du braves P

Was sind deine Wangen so bleich? Durchweine nicht schlaflo

Was zitterst du so vor dem Untergang, Wohl tritt nun der Fall

Der schrecklich jetzt drohe dem Reich? Das Ausnahmsgesetz ist

Was sichst du so schaudernd den Herbsttag nah'n, Doch hoffe! Ein schützen
Der die Ausuahmsrechtc verschlingt, Es lebt eines Puttkamer

Der dem lauge geächteten Arbcitsmann, Ihrer Schutzengel Herrscht

Die Freiheit, die alte, bringt? Drum blick' in die Zuku

Wohl wird man die Männer der Freiheit nicht
Verweisen aus Stadt und Land;

Man wird sic geleiten zum Strafgericht
An des Amtsdiencrs sicherer Hand,

Und wird sie nach Paragraph so und so viel
Bestrafen mit langer Haft,

So wird man erreichen dasselbe Ziel
Durch uns'rer Gesetze Kraft.

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silisterlcin, Wohl wird jetzt ertönen das freie Wort

s die Nacht! In manchem Versammlungssaal,

der gefürchtete ein, Doch packt es der Schutzmann beim Kragen sofort

verkracht! Und führt es zum Tribunal;

der Herrfurth lebt, Wohl möglich ist's, daß in der Presse auch

s Geist! Manch' kräftiger Weckruf erschallt,

>ar dich treulich umschwebt, Daun wird ihm nach früh schon geübtem Brauch
nft dreist. Gehorchen der — Staatsanwalt.

Nun freilich schlägt man auch damit nicht tobt
Des Zeitgeistes drängende Macht,

Und löscht nicht das flammende Morgenroth,

Das leuchtend am Himmel erwacht,

Doch freue dich, frommes Philisterlein,

Wenn heute das Mittel nur frommt,

Und laß' es dir Quelle des Kummers nicht sein,

Wenn nach uns die Sintfluth kommt.

Berlin, nach den Stralauer Fischzug.

Lieber Jacob!

Wenn wir hier den Stralauer Fischzug jefeiert haben, denn is et bei
uns mit den Sommer ans, det is von Alters her so jewesen, un so wird
et ooch woll bleiben. Et wird schon janz herbstlich un manchmal feist Dir
ooch schon so'n kiehler Wind um de Straßenecken, det Du ernstlich an de
Winterkohlen un an det Auslösen von den Wintcrieberzieher denkst.

Na, wenijstcns haben wir et nu in de deitsche Reichshauptstadt jlicklicher
Weise soweit jeöracht, det mir nu in Winterszeiten keenen Hunger mehr bei
de Kälte auszustehen brauchen. Hier haben se nämlich nu 'ne Ferdebudike
usfjcmacht, wo De Dir von Hottehü soville vor'n paar Fennje in Leib
rindrechseln kannst, det Dir de Knöppe von de Weste abplatzen. Scheene
Zustände, die det feinste Licht uff de sojenannte soziale Reform werfen, det
Du Dir det jarnich besser vorstellen kannst. Frieher, da wußtest De wenigstens
nich, uff welchen Droschkehalteplatz Dein safliget Filehbiffstick den Dag vorher
noch jestanden hatte, un det war vor eklije Leite immer noch 'ne jewisse
Beruhijnng. Jetzt naticrlich is det vorbei, un wenn frieher Knochen ufs
Deinen Teller iebrig blieben, wenn Du satt warst, denn fiudst De jetzt
heechstens een Stick ollet Hufeisen, een paar Hufnäjel un een bisken Ferde-
jeschirr.

Ick bin nu blos neijierig, wenn se erst 'ne Hundebudike ufsmachen
werden. Na, ick nehme meinen Köter in Acht, d,ct der Keenen in de Zähne
sitzen bleibt. Denn davon bin ick ooch keen F'reind. Un wenn se denn
noch de ollen Jungfern de fetten Katers abknöppen, un et bleibt jarnischt

mehr iebrig, na, denn fressen wir uns jcjcnseitig uff, aber Alles aus Liebe
natierlich. Ick bekicke mir die Sache vorläufig immer noch 'n bisken von
auswendig un hoffe, det mal Widder bessere Zeiten kommen, wo sich ooch
unser Eener mal wieder eenen rejulären Kalbsbraten bezähmen kann. Aber
sonst will ick nischt jesagt haben, sonst denkste vielleicht ooch von mir, det
ick ieber de Jrenzsperren von't Vieh räsonnire, ih, Jolt bewahre, so Wat
fallt mir nich in, ick bin froh, det ick uff de Welt bin un nich raustrudle,
weil de Welt doch rund is.

Doch det sind ja blos die Kleinigkeiten, die der steierzahlende Staats-
birjer an'n «jenen Leibe verspiert. Darum derfen wir uns naticrlich kceue
jraucn Haare wachsen lassen; wir haben uns um de hohe Politik zu be-
kimmern, un wenn da Alles klappt, denn missen wir zufrieden sind un
haben weiter keene Lippe zu riskiren.

Na, un in die Hinsicht freie ick mir riesig, det wir immer noch so halb
un halb in de Saurejurkeuzeit stehen. Det een Breslauer Redakteur Boulangern
schriftlich interwieet hat, wirst De woll wahrscheinlich aus de Zeitungen
jelesen haben, un Wat er jesagt hat, det qualifizirt ihn natierlich zu den
ersten Staatsmann von de Welt. Ick wäre, wann ick nich so'n kreizjuter
Kerl wäre, denn wäre ick beinahe uff ihn neidisch jeworden, denn sonne
diese Jedanken, dachte ick mir bis jetzt wenigstens, hat außer mir keen Mensch
uff de Welt. Aber ick kann jlicklicher Weise die Konkurrenz verdragen, weil
Boulanger meist Franzecsch schreibt un ick Berlinsch. So kommen wir uns
Beede nich in die Quere, un Jeder kann uff seine Manier sein Licht leichten
lassen. Sechste, Jacob, ick bin unter alle Umstände vor den Frieden uff

Drr MMmirnfirr.

Eine wahre Geschichte, erzählt von Hans FlUX.

s war im „tollen Jahr" 1848. Schon hatte in Paris die Februar-
rcBO*ut’on stattgefunden und man sah vorher, daß ihre Erschüt-
/gsßW* terungen sich auch auf unser liebes Deutschland, das Land der
Loyalitätssräcke und der Gesinnungstüchtigkcit, erstrecken würde.
Geistreiche Leute sagten dies ganz offen.

Auch in dem Salon der schönen Lydia in der Residenz eines größeren
deutschen Landes war man dieser Meinung. Dort fand sich täglich eine
Menge von interessanten Leuten zusammen, Künstler, Schriftsteller, Gelehrte
und Politiker. Lydia war so recht geschaffen, der Mittel- und Anziehungs-
punkt eines solchen Salons zu sein. Sie war groß und schlank, mit einem
regelmäßigen Gesicht, reichem blonden Haar und träumerischen kornblumen-
blauen Augen. Sie entzückte die Männerwelt nicht minder durch ihren
Geist, als durch ihre Schönheit. Sie hatte mehrere Romane geschrieben,
in denen ziemlich ungcnirte Ansichten über die Liebe ausgesprochen waren.
Das machte sie pikant. Wer sie war, wußte man nicht genau. Sie stammte
aus einer deutschen Familie, war mit einem Engländer verheirathet gewesen und
hatte sich von ihm scheiden lassen. Darum ließ sie sich auch gerne Lady nennen.

Die Männerwelt schmachtete zu ihren Füßen, aber nur Wenige durften
sich rühmen, von ihr ausgezeichnet zu werden. Viele hielten sie nur für
eine Kokette; Andere behaupteten, sie müsse eine heimliche Liebe haben.

In ihrem Salon sah man immer einen jungen Mann mit blassem
Antlitz, einem zierlichen Schnurrbärtchen und verworrenem schwarzen Haar,
dem sie es angethan haben mußte. Kurt Strombeck war ein junger Advo-
kat, der soeben erst sein Bureau eröffnet hatte. Ein mächtiges blankes
Messingschild an seiner Hausthür lud ein, sich seines Rathes und Beistandes
in Rechtssachen zu bedienen; allein der Klienten, die kamen, waren nur
wenige. In Erwartung einer besseren Praxis träumte er sich durch seine
Sache hindurch. Von einem Freunde ward er in den Salon Lydias ein-
geführt; dort war er bald ständiger Gast geworden, denn seine Arbeiten
nahmen ihn nicht sehr in Anspruch.

Lydia bemerkte bald, daß sie an ihm einen stummen, aber glühenden
Verehrer hatte. Zuerst amüstrte sie sich, wenn er in einer Ecke saß und

sie mit seinen schwarzen Augen unverwandt anstarrte; sie hatte ja so viele
Verehrer und konnte an den Fingern herzählen, wie viele angesehenen und
berühmten Männer ihr schon Herz und Hand angeboten und ewige Liebe
und Treue geschworen hatten. Endlich dauerte sie der arme Schmachtlappen,
wie sie den jungen Advokaten im traulichen Gespräch mit ihrer Kammerfrau
zu bezeichnen pflegte; sie. widmete ihm einige Aufmerksamkeit. Seine Augen
glänzten wie von überirdischem Glück, als sie ihn freundlich anredete und
sich längere Zeit mit ihm unterhielt. Sie entflammte seine Leidenschaft, aber
sie spielte mit ihm wie mit einem Schoßhündchen.

Eines Tages traf er sie allein und sie war fast zärtlich gegen ihn.
Da faßte er sich ein Herz und drückte einen Kuß auf ihre Hand. Sie ließ
es sich lächelnd gefallen. Er wurde kühner, legte den Arm um ihre Taille
und wollte sie an sich pressen.

„Mein Herr, Sie gehen zu weit," ries sie, entrüstet aufspringend.

„Ah, entschuldigen Sie", stotterte der Enttäuschte, „ah — ich liebe Sie."

„Hahaha! Er liebt mich," sagte sie spöttisch. „Er liebt mich! Ein
Advokat, der keine Praxis hat, liebt mich! Hahaha!"

„Ich bekomme noch eine Praxis!" sagte er schüchtern. Lydia wollte
sich halbtodt lachen.

„Sie sind ein kostbarer Mensch," rief sie. „Ja, ich hoffe, Sie werden
eine Praxis bekommen!"

„Und dann —"

„Und dann," fiel sie ihm in das Wort, „lieben Sie mich noch!"

„Gewiß!" meinte er. „Wenn ich -"

„Wenn Sie Justizminister geworden sind, dann bieten Sie mir Ihre
Hand an, nicht wahr?" lachte sie.

Kurt Strombeck war wie erstaunt ob solchem Ueberinuth. Er hatte eine
bittere Antwort auf der Zunge. Aber soeben trat der berühmte Geheimrath
Soundso ein und Lydia rauschte ihm majestätisch entgegen.

Lange litt es den jungen Advokaten heute nicht im Salon; er schlich
sich hinaus, was Lydia gar nicht zu bemerken schien. Die frische Luft sollte
ihm das brennende Haupt kühlen. Er irrte durch die Straßen in einer
Stimmung, die ihm Selbstmordsgedanken eingab. Da hörte er von fern
einen brausenden Lärm aus dem inneren Theil der Stadt, und er ging,
ohne zu wissen warum, dem Lärm nach. Bald fand er die Straße gesperrt,
es waren Barrikaden aufgeworfen; sie waren besetzt von Bürgern mit rostigen
Flinten und von Blousenmännern mit Sensen.
 
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