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8?

jeden Jebiet, denn ick wceß, det Unfrieden verzehrt un det man manchmal
selbst in'n diessten Frieden ooch nischt zu verzehren hat. Darum halte ick
et mit Boulangern, ebenso wie ick Willem Pickenbachen ooch von Jrunde
meines Herzens nich janz jram sein kann. Beede sorgen, soville wie se bloS
kennen, vor de Unterhaltung ihrer Mitmenschen, un wenn se dabei ihren
eijenen Unterhalt zu verdienen trachten, denn soll se deswejen noch keen
Mensch de Fenstern inschmeißen. So wenigstens bin ick, un wie ick den
letzten Bericht von Pickenbachen seine Versammlung las, wo er nämlich mit
Musik jctagt hatte, indem nämlich det Publikum bei seine janze Rede un-
unterbrochen jefiffcn hatte, da dachte ick mir, det er doch een Kerl is, der
in de Welt paßt, weil er doch durch jarnischt aus den Takt zu bringen is.

De Berli er wurde natierlich riesig jruselich, wie se jelesen haben, wat
Pickenbach mit se vorhat. Von jetzt ab jiebt et blos noch deitsche Treie
und deitsche Wechsel, un det Wort „Wucher" wird ieberhaupt aus de deitsche
Sprache ausjemerzt, un wird unter de allerunjebräuchlichsten Fremdwörter
inrangirt, un wer det verpönte Wort nff eenen Antisemiten anwendct, der
kommt jleich so'n halbet Jährekcn nach Plötzensec, oder noch besser, er kriegt
jeden Dag seine Fünfunzwanzig ieberjcrissen, bis er die nothwendige Bil-
dung jelernt un Meschen hat, det man sonne Redensart uff deitsche Männer
ieberhaupt nich anwendet.

Sonst is in Friedrichsruh nich ville Neiet passirt, weil der Jnsicdler
mit Schwenningcrn nach Kissingen abjereist is, wo die beedcn Privatleite
uff eijcne Faust nu Weltjeschichte weiter fabrizircn. Na, ick mische mir da
nu prinzipiell nich in, weil ick een bescheidener Mensch bin, un nich jerne
andere Leite in't Handwerk fusche. Wat ick an Weltjeschichte jebrauche, det
mache ick mir selbst, aber ick sehe leider de Möglichkeit nich in, det vor mir
dabei een Paar Rilterjüter abfallen. Ick bejniege mir immer noch mit
meine drei Blumentöppe, ufs die ick als Jrundbesitzer stolz bin. Neilich war
Michel Flürschcim hier in Berlin, un ick bin janz zufrieden, det er nich den
Antrag jestellt hat, det meine drei Blumentöppe als Jrund un Boden ver-
staatlicht werden. Mir wäre det sehr unanjenehm jcwesen, un ihn hätte et
nischt jenutzt, womit ick verbleibe erjebenst un mit ville Jrieße Dein lreier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Der Hirtenbrief.

Den Sozialisten geht es schief:

Es kommt ein eigner Hirtenbrief,

Den ihnen die deutschen Bischöfe geweiht
In dieser materialistischen Zeit.

Werden sie reuig zur Kirche laufen,

Betend ihr Seelenheil zu erkaufen'?

Oder werden sie gar zerknallen,

Oder wie Jericho's Mauern Umfallen?

Ach, die Sache wird sich noch verschlimmern:

Gar Nichts werden sie drum sich bekümmern.

»S

Hobclspähne.

Die Diplomatie muß doch ein bedeutend schwereres
•> Handwerk sein, wie die Schreinerei, denn die Diplo-

jjj muten dürfen sämmtlich Urlaub nehmen, um sich

TI / L—' öon ’^ren Anstrengungen zu erholen, während wir

1 1 //— Schreiner ruhig weiter hobeln müssen.

Tnf- Schade, daß wir die Provinz Wadclai in Afrika

U nicht erobert haben. Wir könnten dann neben dem
Sedanfest noch ein Sudanfest feiern.

! Wie ist die Welt so schön gemacht

(2Und Alles steht am rechten Fleck!

Ob's regnet, ob die Sonne lacht,

Ob kalt der Sommer, oder warm —

Es hält an jeder Straßeneck

Die Ordnungswache ein — Gendarm.

* *

*

„Die Zeitungsschreiber sind feige Memmen", hatte Bismarck gedacht,
da rückte ihm in Kissingen der Memminger muthig auf den Leib.

* *

*

Noch immer starben die Lukulle nicht!

Kennt Ihr das Pferd, das edelste der Thicre?

Im Dienst der Reichen that cs seine Pflicht,

Der Liebling war'S der stolzen Kavaliere,

Doch wie der Reiche seinen Werth auch preist —

Zuletzt wird es vom Armen doch verspeist.

* *

*

In Amerika hat man einen elektrischen Hinrichtnngsapparat
in Anwendung gebracht. Es gelang mit demselben vortrefflich, den letzten
Rest von Humanität in der Strafrechtspflege zu tödten.

* *

*

Kokette Frauen gleichen den Messingknöpfen an einer Füsiliers-Uniform.
Sie glänzen am meisten, wenn sie recht geputzt sind.

* *

*

Manch' Glück, das wir erhofften,

Zerfloß in leeren Schaum,

Zerronnen ist im Leben
Manch' schöner Liebestraum.

Gar oft ist ausgeblieben,

Was Hoffnung uns verhieß,

Doch ist ein Wechsel fällig —

O, der kommt ganz gewiß!

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Ah, da war sie, die schon längst prophezeite Revolution!

Man ließ ihn durch, da er sich für einen Anhänger der Volkssache
ausgab, und er gelangte vor da« Schloß, wo sich eine ungeheure Menschen-
masse zusammendrängte.

„Preßfreiheit! Fort mit der Zensur! Fort mit dem Militär!" hieß es.
Das Schloß war militärisch besetzt. Es drohte zu einem blutigen Konflikt
zu komnien.

Strombeck stürzte sich in den Strudel der Volksbewegung; so trieb ihn
sein hämmerndes Herz. Hier konnte er seine Erregung austoben. Der sonst
so schüchterne junge Mann war mit einem Mal ein leidenschaftlicher Revo-
lutionär geworden.

Er sprang auf eine Bank. „Ruhe!" hieß es, „ein Redner! ein Redner!"

Kurt erhob seine Stimme, so laut er konnte.

„Fassen wir unsere Wünsche zusammen und senden wir eine Deputation
zum Landessürsten um Gewährung!" rief er.

„Bravo! Bravo!" hieß es von allen Seiten.

Schnell ward eine Deputation gebildet und der junge Advokat zum
Sprecher ernannt. Er begab sich mit seinen Gefährten in das Schloß. Stach
einer halben Stunde erschien er mit dem Landessürsten auf dem Balkon
des Schlosses.

Ein brausender Jubel empfing Beide. Der Fürst verneigte sich gegen
das Volk.

„Alle Forderungen sind gewährt!" rief er.

„Hurrah! Bravo!" hieß es. Dann rief eine Stimme: „Wir müssen
neue Minister haben, die alten sind —" Der Rest ging im Lärm unter.

Kurt machte ein Zeichen, daß er sprechen wollte.

„Unser gnädiger Landesfürst", sprach er, „haben geruht, das alte Mini-
sterium zu entlassen und ein neues aus lauter Volksmännern zu bilden,
desgleichen mich jetzt schon zum Justizminister zu ernennen, zur Gewähr,
daß die Forderungen de« Volks erfüllt werden sollen."

Nun wollte der Jubel nicht enden und die Revolution löste sich in all»
gemeines Wohlgefallen aus. —

Kurt war also plötzlich Mitglied eines MärzministeriumS und der Scherz
Lhdia« war mit einem Mal Ernst geworden. Am Morgen beglückwünschte
man ihn. Er war stolz im Gefühl seiner Macht; er wurde gleich Bureaukrat
und nahm die Huldigungen seiner Freunde wie einen schuldigen Tribut
gnädigst entgegen.

Endlich zog er sich zurück und nahm keinen Besuch mehr an. Da
meldete ihm sein neuer Lakai, daß noch eine Dame da sei, die sich nicht ab-
wcisen lasse.

„Sie ist hübsch", sagte der Lakai pfiffig lächelnd.

„So.laß sie ein", sagte Kurt. „Dann aber Niemand mehr!"

Es war Lydia. Sie kam, ihn zu beglückwünschen.

„Ah, Sie haben meinen Wunsch schnell erfüllt", sagte sie, ihren Lieb-
reiz entfaltend.

Nun ward er kühn und zog sie an sich.

„Aber, Exzellenz", sagte Lydia, „Sie —"

„Nenne mich Du, nenne mich Du!" flüsterte der Herr Minister im
Liebestaumel.

„Kurt!"

„Lydia!"

Sie war heute weniger spröde. Aber ein Befehl des Landessürsten
störte das Schäferstündchen und Kurt warf sich wieder in seine ganze Amtswürde.

„Lebe wohl, Kurt", flüsterte sie, „wir sehen uns bald wieder!"

Das Märzministerium war nicht von Dauer, es ward von der Volks-
bewegung bald hinweggcschwemmt. Der neue Minister der Justiz gefiel dem
Volke nicht, er that gar zu wichtig und entpuppte sich als eine Bureaukratcn-
seele sehr hartgesottener Art. Er ward mit seinen Kollegen entlassen. Zornig
eilte er in den Salon Lydias. Er tras sie allein.

„Ich habe Unglück gehabt", begann er, „das Volk hat mich nicht ver-
standen, wie es schon so viele Staatsmänner nicht verstanden hat."

„Ah", sagte Lydia, „nicht verstanden!"

„Ich ziehe mich zurück in das Privatleben und werde den Undank des
Volkes vergessen."

„Sie wollten!"

„Unwiderruflicher Entschluß. Aber Dir, meine thcure Lydia, bleibt mein
Herz und Du — —"

Lydia lächelte.

„Herr Doktor", sprach sie mit besonderer Betonung, „Sie können
mich jetzt wieder Sie nennen!"

Er verstand sie und stürzte hinaus. Die Welt war undankbar, das
begriff er nun und führte ein StillebenI Der ehemalige Märzminister ward
ein Weiberfeind.
 
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