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866

ZUM 1. Oktober.

Ä^cnoffen, schließt den ernsten Kreis,
vS* Wir stehn ait eines Feindes Bahre,
Der uns in Schlachten, ivild und heiß,
Bedrängt, umstürmt zwölf lange Jahre.
Er liegt, gefällt von unsrer Hand,

Der oft mit Allmacht stelz gebrüstet,
Er: unsrer Gegner Unverstand,

Mit Willkürwaffen ausgerüstet.

Eh' fo gerüstet auf den Plan
Er trat iin großen Kampf der Geister —
Wie schritten fröhlich wir die Bahn,
Die uns Lastalle gezeigt, der Meister.
Mit Sang und Klang dcur Morgenroth
Entgegen frisch im Ingenddrange.

Da wirbelte das Aufgebot

Der Neaktion mit dumpfem Klange.

In Acht und Bann gelegt vom Staat,
Vrrleunrdung gegen uns erhoben,
Auf's gleiche Recht ein Attentat
Und der Philister wildes Toben
So tausendfache Uebermacht
Zog lärmend aus, uns zu bekriegen;
Wir wankten nicht in heißer Schlacht,
Wir lernten kämpfen, lernten stegen.

Und wer verbannt ins Elend ging,
Geopfert mitleidslosem Haffe,

Und wer den Todesstoß empfing,

Der Freiheit brechend eine Gaffe,

Er warb durch feinen Opfermuth
Der großen Sache neue Schaaren
Und endlich in Brgeist'rungsglnth
Trieb unser Heer den Feind zu Paaren.

Nun liegt in seiner Nüstung Schmuck
Der tvdte Ritter auf dem Plane.

D er Aus« ah msznstand ,Ausn a hmsdru ck,
Und siegreich weht die rothe Fahne.

So wollen wir den todten Mann
Auf ewig in die Nacht versenken,

Und über feinem Grabe dann
Die strggvfchmückte Fahne schwenken.

Laut tönen, unfern Sieg zu weih'n,

Die lang verpönten Freitzeitsliedrr —
Doch dann, Grnoffen, schließt die Aeih'n
Und schärft des Geistes Waffen wieder.
Voran! bis gleich der heut'gen Schlacht
Der große Kampf der Zeit entschieden,
Errungen durch der Wahrheit Macht
Der Arbeit Recht, den Völkern Frieden!

M. K.

Berlin, Ende September.

Lieber Jacob!

Nanu die paar Tage noch, da verkneif Dir man Deine Freide noch,
haste et solange ausjehalten, da kommt et uff die paar Oojenblickc nu ooch
nlch mehr an, nu man ruhig Blut nn warm anjezogen: haben wir uns mit
unser» scheenen Briefivechsel unter det Sozialistenjesetz so jut durchjedrickt,
denn werden nur die Sache ohne Sozialistenjesetz noch ville besser befummeln.

Mach' een verjniegtet Jesichte, Jacob, kannst Dir ooch meinswejen de
Reese putzen, nn wenn De willst, nimm een rothet Schnnppduch zu die
Staatsaktion: Du brauchst nu treue Bange mehr zu haben, det se Dir det
vielleicht wegnehmcn, nn det der olle Liebknecht det Schnnppduch denn schließlich
Widder nff den Disch von den hohen Reichsdag niederlejen muß. Det is nn
Alles vorbei, lieber Jacob, schwenke Dein rothet Schnnppduch soville wie De
tvillst, un ivcnn et noch Jencralochscn jeden sollte, die sich vor Angst davor
verkriechen, na, denn laß se, ick vor meine Person jeh' nn so leichte Keenen
mehr ans'n Weje.

Ja, Jacob, et warm schwere Zeiten, det letzte verjangene Dutzend Jahre.
Wenn man Heike so zurückdenkt un verjejenwärtigt sich so Alles, wat passirt
is, na, denn mechte inan de Wände ruffkriechen, aber nich vor Verjniejen, —
nee, Jacob, det muß uns der Neid lassen, wir haben wat ausjcstanden;
aber — ick jloobc, ick derf det ohne Ueberhebung sagen — de deitschen ALbeeter
haben jezeigt, det sc Kerrels sind, die in de Welt passen, die det Schwerste
aushalten, wat et blos siebt, nn nff die man sich verlassen kann. In wenije
Dage stehen wir an eenen jroßen Wendepunkt nn da heeßt et denn, zu
zeijen, det die Reifen, die jcmeinschaftbchet Dulden un jcmeinschaftlichct
Jntreten vor eene Idee jeschmiedet haben, unzerbrechlich sind, un det die
Jesinnnngsjenossen, die solange zusammenjehalten haben, nn ooch noch weiter
zusammenstehcn werden, bis wir endlich det erreicht haben, wofor wir soville
jclittcn haben, bis endlich der Arbeeter een freier Manu is, der die Rolle
spielt, zu die er in de Weltjeschichtc berufen is.

Sechste, Jacob, ick bin 'ne putzije Krücke. Hcite, tvo ick Dir wahr-
scheinlich den letzten Brief unter det Sozialistenjesetz schreibe, sollte ick cijcntlich

Auch eilt Opfer des Sozialistengesetzes.

^ic Muse der Geschichte ist eine ungerechte Dame. Nicht sowohl
nach Verdienst, sondern nach Rang und Stellung theilt sie ihre
Kränze ans. Die Namen von Fürsten, Staatsmännern, Generalen
bringt sie auf die Nachwelt und webt um sie die Glorie der
Unsterblichkeit, indeß sie die Namen derer, welche in bescheidener Stellung
ihre vollen Kräfte für das Wohl des Vaterlandes eingesetzt haben, in den
Orkus des Vergessens versinken läßt So wird sie einst, wenn sic die Aera
des Sozialistengesetzes in ihren Annalen bucht, die Namen Bismarck, Putt-
kamcr, Bötticher, Herrfurth in leuchtender Flamnienschrift erglänzen lassen,

während sie der zahlreichen Männer kaum
gedenkt, die mit rühmlichem Wett- und
Pflichteifer die Sozialdemokratie in ihrem
geheimsten Schlupfwinkel aufgespürt
haben. Nur wenige Rainen, wie die
Jhring-Mahlow, Naporra, Wohlgemuth,
werden diesem beklagenswerthen Loos
eines rühmlosen Vcrgcsscnseins entrinnen.

Sollte der patriotische Gedanke nicht
bei allen aufrichtigen Reichsfreunden An-
klang finden, daß dem selig entschlafenen
Sozialistengesetz ans ReiDmitteln ein
Gedenkstein errichtet werde — ähnlich der
Kanossasäule — auf welchem die Namen
aller derer, die.sich uni dessen Ausführung
besonders verdient gemacht haben, cin-
gegraben würden? Wir begnügen uns,
die Idee angeregt zu haben und geben dem
Komite für das Bismarck-Denkmal an-
heim, zu erwägen, ob dieser Gedenkstein
nicht als Piedestal für den Heros des
l 9. Jahrhunderts errichtet werden konnte.
Um nun wenigstens einem dieser
Würdigen gerecht zu werden, wollen wir am Sterbetag des Sozialistengesetzes
eines Mannes gedenken, der mit jeder Fiber für dasselbe glühte und sich in
seinem Dienste fast aufgerieben hat. Es ist der Polizeikommissär Schnüffling.

Er war von jeher ein pflichttreuer Beamter, ohne durch besonders
glänzende Leistungen sich auszuzeichneu: ein im Verborgenen blühendes
Polizeiveilchen. Erst das Jahr 1878 weckte seine schlummernde Kraft und
Große, auf's Neue das Dichterwort bewahrheitend:

„Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken".

Man hätte glauben können, der liebe Gott habe das Sozialistengesetz
eigens für ihn geschaffen. Es war sein Lebenselement und war ihm ans







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Uaporra.«

t9cl)rödeo'

Ha-upt.

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Herz gewachsen. Er stand mit ihm auf und legte sich mit ihm nieder. Er
kannte seine 80 Paragraphen Wort für Wort auswendig; gleichwohl trug
e.r stets ein Exemplar davon in seiner
Brusttasche und ein anderes, in Goldschnitt
und Prachtband, zierte das Etagere seiner
Privatwohnnug, auf dessen oberem Brett
eine Miniaturstatnette Bismarck's in GyPs
und ein Tyras-Briefbeschwcrcr in Bronze
zu sehen war.

Böse Zungen, die überall ihr cm est
la komme anbringen, zischelten von einer
Licbesafsaire des Herrn Kommissarius mit
einer bildhübschen Nähterin, welche ihm
von einem hervorragenden Sozialdemo-
kraten des Orts weggetäpert worden sei,
von welcher Zeit sein fast krankhafter
Sozialistenhaß datiren soll. Andere da-
gegen waren der Ansicht, der Herr Kom-
missar wolle das Sozialistengesetz als
Staffel benützen, um zu höheren Ehren
aufzusteigcu und seinem Kollegen Maier
den Rang abzulaufen.

Dem sei wie ihm wolle, genug, Herr Schnüffling trieb die Sozialisten-
hetze als.leidenschaftlichen Sport, so daß die Sozialistenriecherei sich zur
Manie bei ihm ausbildete
und erüberällsozialistische
Umtriebe, geheime Ver-
sammlungen und Ver-
bindungen und dergleichen
witterte. Ein rothcs
Taschentuch versetzte ihn
in fieberhafte Aufregung
und man erzählt sich
darüber eine spaßhafte
Geschichte. Am 81. Aug ,
der als Gedenktag
Lassalle's von dessen An-
hängern gefeiert tvird
und an lvclchem die Wach-
samkeit Schnüffling's sich
verdoppelte, lvcnn dies
überhaupt möglich war,
befand sich unser Held
am Bahnhof und beob-
achtete einen zur Abfahrt
 
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