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903

daß cs ihre erste und oberste Aufgabe bleibe, die Arbeiter aufzuklärcn und
zum Klassenbewusstsein zu erziehen. Bei Gründung-von neuen Parteiblättern
soll man möglichst Vorsicht walten lassen und sich vergewissern, daß das
Unternehmen aus eigenen Mitteln existiren kann und die dafür nöthigen
geistigen, technischen und administrativen Kräfte vorhanden sind.

Auch in diesem Punkte zeigte der Kongreß seine volle Einmüthigkeit in

der Zustimmung zu den beherzigens-
werthen Darlegungen des Referenten
Auer.

Dr. Adler-Wien.

Die Illusionen unserer
Feinde.

Nathlos und thatlos stehen die
bürgerlichen und reaktionären Parteien
dem gewaltig auschwellenden Strome
der sozialistischen Arbeiterbewegung
gegenüber. Sie hatten ihre Hoffnung
darauf gesetzt, die Partei werde sich
auf dem Parteitag spalten und so ihre
Kraft selber lähmen.

Die zu Berlin und an anderen
Orten sich laut ankündigende Opposition
gegen die Parteileitung hatte diese
Hoffnungen genährt. Man überschätzte
und übertrieb die Bedeutung dieser an
unb für sich geringfügigen Gegenström-
ung , und die antisozialistische Presse
war cifrigst bemüht, die auftretcnden Gegensätze und Meinungsverschieden-
heiten ins Ungeheuerliche zu vergrößern, Damit wurde dem Spießbürger die
Erwartung plausibel gemacht, die Sozialdemokratie hätte nach einem zwölf-
jährigen mannhaften und ruhmreichen Kampfe wider das Ausnahmegesetz

und die Polizcigewalt nichts eiliger
zu thun, als sich in selbstmörderischen
Zwistigkeiten zu verzehren.

Die so dachten, verkannten durch-
aus das Naturell der sozialistischen
Bewegung, die ihre Lebenskraft und
ihre schöpferische Befähigung ans den
vorhandenen ökonomischen Zuständen
und Klassengegensätzen zieht. Sie ver-
kannten auch, daß der Idealismus,
der die Partei in so hervorragendem
Maße beseelt, cs ihr leicht machen
würde, sich über kleinliche Zwistigkeiten
hinwegzusctzcn und die Geschlossenheit
des Ganzen zu wahren.

So kam es, wie Jeder erwartete,
der einen Einblick in die Verhältnisse
der sozialistischen Arbeiterpartei hatte;
die Angriffe der Opposition auf die
Parteileitung und deren Geschäfts-
führung und Verwaltung wurden sieg-
reich und leicht abgeschlagen und die Eintracht in der Partei wurde neu be-
festigt, statt gestört.

' Wir lassen uns nicht darauf ein, hier die Zwistigkeiten des Näheren
darzulegen. Die Opposition war schon gleich bei ihrem Auftreten so ver-
schwindend klein, daß sic
ans eine besondere Bedeu-
tung keinen Anspruch er-
heben konnte. Wenn man
gehofft hatte, die Debatten
würden einen noch schlum-
mernden Widerspruchsgeist
erwecken und sich soweit
erhitzen. daß der Partei-
leitung mio der Reichstags-
fraktion neue Gegner er-
stünden, so irrte man sich
durchaus. Die Opposition
nahm ab und blieb schließ-
lich in der Hauptsache fast
nur auf eine einzige Person
beschränkt. Der Parteitag
war so verständig, die
Opposition nicht terrori-
stisch , sondern mit Gut-
müthigkeit und Großmüthigkcit, zuweilen sogar mit einem gewissen Humor zu
behandeln. Das trug nicht wenig dazu bei, die Opposition zu entwaffnen.

Die Sozialdemokratie hat so glänzend tvie noch nie den Beweis geliefert,
daß sie wohl im Stande ist, innere Zwistigkeiten durch den Geist der Soli-
darität und der Brüderlichkeit zu überwinden. Alle Sozialisten, die den
Gang dieser großen und weltgeschichtlichen Bewegung begriffen haben, sind
Gegner des Personenkultus und der Vertrauensduselei. Sie haben sich in
harten Kämpfen schulen und die spießbürgerlichen Vorürthcile und Gewohn-
heiten, wo sie cttva vorhanden, gleich zu Anfang abschiitteln müssen. Aber

Mundberg-Kopenhagen.

Bergmann Schröder-Dortmund.

die Parteigenossen werden auch nicht dulden, daß die bewährten und tapferen
Vorkämpfer, die der Sache uneigennützig und opferfreudig gedient haben,
verleumdet oder verkleinert werden. Das hat der Parteitag gezeigt.

Im Uebrigen sind die Differenzen, wie sic in den letzten Wochen und
Tagen ausgekämpft worden, ein Beweis von dem frischen inneren Leben der
Partei. Wir reden nicht von den persönlichen Angriffen, sondern von den
Diskussionen über Programm, Organi-
sation und Taktik der Partei. Da ist
kein ödes und einseitiges Anklammern
an das Hergebrachte, sondern es pulsirt
ein lebhafter und anregender Gedanken-
austausch, der beweist, daß die Sozial-
demokratie keine Partei des Still-
standes, sondern des Fortschritts ist.

Dies Moment trägt nicht zum Wenig-
sten zu ihrer inneren Kräftigung bei.

Die Vertreter der deutschen Sozial-
demokratie zu Halle haben es wohl
begriffen, was eine Spaltung der Par-
tei in diesem Augenblick zu bedeuten
hätte. Sic wäre für die Arbeiter-
welt ein Rückschritt in unserer ganzen
Knlturentwicklnng und eine Vertagung
der Hoffnungen, die das darbende und
seufzende Proletariat aller Länder an
den Vormarsch dieser großen Beweg-
ung knüpft.

Nein, die Sozialdemokratie wird
geschlossen bleiben und wird allen Ver-
suchen von innen und außen, sie zu sprengen, Trotz bieten.

Diese kraftvolle Partei ist aus allen Kämpfen verjüngt und verstärkt hcr-
vorgegangen. Das beweist, daß ihr die Zukunft gehört.

Der alte Tölcks.

Baumgarlerr's Tod.

Der Freiheit Morgenroth, es fiel hinab
Mit sanftem Schimmer in sein stilles Grab.

Am 17. Oktober, Vormittags, gerade während der Abgeordnete Auer
über den Organisationsentwurf zum Schluffe das Wort genommen hatte,

Stubienköpfe vom Parteitage.

fiel der Delegirte Heinrich Baumgarten aus Hamburg, ein Mann im
45 Lebensjahre, von seinem Stuhle und blieb regungslos liegen. Es entstand
einige Verwirrung; man glaubte, Baumgarten sei ohnmächtig geworden, und
es erschollen Rufe nach Wasser. Zwei Acrztc, die als Parteigenossen auf
dem Kongresse anwesend waren, Dr. Adler aus Wien und Or. Zadek aus
Berlin, eilten herzu und man trug Baumgarten in den hinter dem Sitzungs-
 
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