Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
9©<; —

Der Zukunstsstaat. -s§^-

fragen sie nach dem Zukunftsstaat
Und wollen von uns erfahren.

Wie sich die Welt wohl gestaltet hat
von jetzt ab in hundert Jahren.

Wie dann gespeist wird und wie gewohnt
Und ob es für Alle wird reichen;

Vb dann in der Nacht noch scheint der Mond
And die Sonn’ nicht am Tag wird erbleichen.

Wer kocht, wer wäscht in künftiger Zeit,

Wer wird uns die Stiefeln putzen?

And darf ein Zeder zugleich das Rleid
Ruch von dem Andern benutzen?

And hat man zurückgelegt seinen Weg
Im wilden Lrdengetümmel,

Bant dann auch der Zukunftsstaat einen Steg
Hinauf in den seligen Himmel?

I Ihr lieben Philister, ihr dauert mich,

Ihr armen guten Tröpfe,

Daß ihr darüber so fürchterlich
i Zerbrechen euch müßt die Röpfe.

Ihr wißt, ich bin von Seele weich
! And fühl' ein menschliches Rühren,
j Drum will ein wenig ich mit euch
vom Zukunftsstaat diskutiren.

Im Zukunftsstaat — ei, merkt euch das!
Bedeutsam ist die Geschichte —

Hat Jedermann wie heut' die Nas'

Noch mitten in seinem Gesichte.

Die Rinder wachsen nicht auf dem Baum,
! Sie werden von Weibern geboren;

Die Lsel haben, ihr glaubt es kaum,

, Gar lange, lange Vhren.

! Und wandelt im Zukunftsstaate dort
vereinzelt noch ein Philister,

So geb' ich drauf euch mein heilig Wort
! So dumm grad wie heute, so ist er.

Ulan fängt ihn mit einer Schlafmütz' ein
And stellt ihn zur Schau im Tempel
Kür Alt und Jung und Groß und Rleiu
Als warnendes Lxempel.

Doch damit ist's noch nicht gethan:

Man wird zum Arzt ihn führen.

Am vom Philister-Größenwahn
Den Armen zu kuriren.

And damit schließ' ich den Bericht,

Mehr mag ich euch nicht sagen;
Beantworten können zehn Weise nicht.
Was nur ein Narr mag fragen!

Berlin, Mitte November.

Lieber Jacob!

Nu sind mir mitten mang die Dage, von die ick janz mit Fug un
Recht sagen kann: sie jefallen mir ooch nich die Bohne. Ick weeß ja nich,
wie et bei Eich is, aber hier is et lausig »ließ. In de hohe Politik, Wat
doch eijcntlich mein Fach is, is noch nischt los, wenigstens hat der neic
Kriegsminister noch nischt von sich Heeren lassen, wahrscheinlich stehlt er sich
noch nich so recht mollig uff seinen neien Posten, un wecßte, Jacob, ick
kann ihn det ooch eijcntlich jarnich so krumm nehmen. Wenn Eener ufs'm
Stuhl sitzt, der riesig wacklig is un Angst haben muß, det er jeden Oogen-
blick in de Pauke fiiejen kann, denn kann nach meinen dämlichen Untcrthanen-
vcrstand so'n richtijet Gesteh! von Jemüthlichkeit ooch nich uffkommcn. Aber
Du wirst sagen: „Rauke, wat hast Du denn neethig, Dir den Kopp von
den Kriegsminister zu zerbrechen?" Da muß ick Dir denn nn antworten:
„Jacob, det verstehst Du nich, denn det versteh ick ja kaum." Ick muß mir
mit sonne Staatsfragen befassen, mein Jefiehl zwingt mir dazu, un wat der
Metlsch braucht, det muß er haben, un wat der Mensch muß, det muß er!

Giehste, Jacob, nu is Dir Widder een Seefensieder uffjcjangen, un ick
hoffe, det Du vor die Eröffnungen von meine politische Weisheit mindestens
paff bist.

Aber ick merke schon, ick muß noch deitlicher werden. Wir haben jetzt
nich blos eene Armee in Deitschland, die uns an'n Herzen liegt, nee, Jacob,
wir haben ziveee. Die eene stellt bekanntlich ieberall nsf de Straßen Posten
aus, die den anstärcdijen Beruf haben, ufs die Birjer, die sich wat zu Schulden

koinmen lassen, die z. B. nich stramm stehen, wenn der Posten ruft, die also
uff sonne Esels schießen, dnt de Kugel vorne rinjeht un hinten jleich Widder
rauskommt. Det is die eene Sorte. Die andere is de Heilsarmee.

Ick jloobe jar, Jacob, Du denkst, ick will mir 'neu faulen Witz mit
Dir machen? Kecne Ahnung von'n Klammcrjast, wat ick Dir hier sage,
is de reene, pure, lautere Wahrheit, wat Dir hier in Berlin jede olle Jungfer
bczcijen kann, die der Jeist in'n Kopp jestiejen is.

Wir haben de Heilsarmee hier, un et jicbt Leitnants un Kadetten un
Hanptleite, jenau so wie in Lichterfelde. Un wat dat Scheenste is, det is
nehmlich det. Wenn De Leitnant in de Heilsarmee werden willst, denn
brauchst De nich mal een Mann zu sind, ih Jott bewahre: De Heilsjenerals
fragen den Quark wat nach, ob der Hcilsrekrut Hosen oder Unterröcke anhat,
det is se janz Schnuppe, de Hauptsache scheint zu sein, det de Soldaten un
Leitnants man berappen.

Jck jloobe nich, Jacob, det uns ieberhanpt een jrößerct Jlick Passiren
konnte, als det de Heilsjinger bei uns injezogen sind, un det wir jrade um
die Zeit eenen neien Kriegsminister jekriegt haben. Jacob, merkste nu, wie
der Hase looft?

Na, wceßtc, Jacob, ick jloobe, Dir kann Eener ooch mit'n Torfkahn
ieberfahren, denn merkst De noch nischt. Ick mechte nehmlich zu ferne, det
se bei uns die Jnrichtungcn von de Heilsarmee ooch bei de andere Armee
infiehren: det nehmlich jeder det, wat er braucht, alleenc berappt, un so ville
ablad't, det de Jenerale, un wat so drum un dran hängt, ooch jleich mit-
bczahlt werden. Denn wären wir doch dicke raus mit'n Frciloos, un de

Nrr Eugen Richter.

^tugen, großer Rechenmeister,

0© Mit dem großen Heldenmund,
Willst erleuchten uns'rc Geister,

Machst uns Deine Weisheit kund,
Wirfst Dich wie ein Ungewitter
Gegen unser Schlachtpanier,

Sankt Manchesters letzter Ritter,
Eugen! so gefällst Du mir!

So, auf stolzer Rosinante
Ritt auch Don Quixote ins Feld,

Mit demselben Geist erkannte
Er den Riesen auch, der Held.

Und wie er mit keckem Prahlen
Legte seine Lanze ein,

So mit klug geformten Zahlen
Schlägst Du blind und wüthend drein.

„Jrrlehr' ist's, was die soziale
Lehre kündet", rufst Du dreist,
„Jrrlehr', was der ideale
Znkunftsstaat dem Volk verheißt."
Großer Eugen, nun verkünde
Deiner These Sinn und Werth,

Zeig' uns auch die guten Gründe,

Die Dich also aufgeklärt!

Aber ach, was muß ich hören?

Welche Phrasen Dir cntflich'n!
Sachkcnntniß pflegt nie zu stören
Deine weisen Theorien,

Studium macht Dir keine Plage,
Denken nicht beschwert Dein Hirn,
Wenn der Jetztzeit großer Frage
Kühn Du beift'st die Mannesstirn!

Hörtest im Vorübereilen
Von den Kindern auf der Straß'
Wohl die alte Mähr vom „Thcilen",
Ha, ein Argument war das!

Hörtest etwas diskutiren
Von der gleichen Arbeitspflicht —
Das genügt Dir, zu votircn:
„Arbeitsgleichheit — das geht nicht!"

So verfichtst Du Deine Sache!

Bist Du wirklich blind und taub?
Oder hütest Du als Drache
Sankt Manchesters Schatz und Raub?
Hut' Dich selber! Zum Erwachen
Winkt der Zukunft Morgenlicht,

Und es rettet einen Drachen
Oft sein großes Mundwerk nicht.

Bureaukratie.

Beim Minister Freiherrn von Beißmichnicht
erschien ein Gastwirth und führte Beschwerde darüber,
daß er durch rechtswidriges Verfahren der Gemeinde-
verwaltung um seinen Gasthof und damit um seine
ganze Existenz komme, wenn nicht sofort zur Her-
stellung seines sonnenklaren Rechtes eingcschrittcn
würde.

„Wo sind die Akten?" fragte der Minister.

„Es giebt noch keine Akten, das Unrecht ist ja
soeben erst geschehen", sagte der Gastwirth.

„Und da wagen Sie", donnerte ihn der Minister
an, „zu mir zu kommen? Wissen Sie nicht, daß
Sic den Jnstanzcnzng erst zu erschöpfen haben?"

„Was ist denn das für ein Ding?" lautete die
Gegenfrage des erschrockenen Wirthcs.

„Sie haben", belehrte der Minister, „sich an

das Amtsgericht zu wenden; falls sich dasselbe nicht
für zuständig hält, an den Magistrat, an die Kreis-
regiernng, an den Verwaltungsgerichtshof u. s. w:,
und erst wenn alle Instanzen durchlaufen sind,
können Sic sich ans Ministerium wenden, welches
die Entscheidung dann durch die verschiedenen In-
stanzen hinabgclangen lassen wird."

„Aber das kann Jahre, lang dauern, unterdessen
bin ich mit meiner Familie ruinirt und verhungert!"

Der Minister zuckte die Achseln. „Ordnung
muß sein." * *

-i-

Kurze Zeit nach dieser Audienz begab sich eines
Abends der Minister v Beißmichnicht in den Raths-
keller der Hauptstadt und ries dem Oberkellner zu,
er solle ein Glas Bier bringen.

Der Oberkellner beeilte sich gar nicht, diesen
Wunsch zu erfüllen, sondern trat nur näher an den
Tisch des Ministers heran. Wir erkennen in dem
Kellner den ehemaligen Wirth, welcher kürzlich die
erfolglose Audienz im Ministerium hatte.

„Sic wünschen ein Glas Bier", sagte er. „Dann
müssen Sie sich an den Piccolo wenden. Dieser
wird die Bestellung der Kellnerin übergeben; durch
letztere erst kommt die Sache an mich; ich werde
dann dem Wirth darüber Vortrag halten, und wenn
nichts entgegensteht, lvird der Befehl an den Schenk-
kcllner gelangen. Dieser wird das Glas füllen
und dem Piccolo überantworten, der cs weiter
befördert, bis cs an mich gelangt, «vorauf ich mich
beeilen werde, es Ihnen zu überliefern."

„Aber, das ist ja Narrheit", schrie der Minister.
„Unterdessen wird das Bier ungenießbar und ich
verdurste! Wozu die Umständlichkeiten?"

„Sie entschuldigen", sagte der Oberkellner mit
leichtem Sarkasmus, „wie könnte ein solches Bcr-
 
Annotationen