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•• |§|» Prosit Neujahr!

Einem jeglichen Bürger im deutschen Land
Wünsch' ich politischen Verstand,

Sowie ein angstfrei Gemüth, zumal
Zur allernächsten Rcichstagswahl.

Dem Arbcitervolke werden mag
Der lang ersehnte Achtstundentag.

Auch wünsch' ich Allen hohen Lohn;

Ein Vivat jeder Organisation.

Den Industriellen gefühlvolle Herzen
Für ihrer Arbeiter Sorgen und Schmerzen.
Den Großgrundbesitzern, daß werden befreit
Ihre Herzen von Zollbegchrlichkeit.

Der Arbeiterlagc richtige Kenntniß,
Sowie der sozialen Frage Verständniß,
Wünsch' ich sämmtlichen Reichsphilistern,
Besonders aber den Herrn Ministern.

Ich wünsche der deutschen Polizei,

Daß sie mit Vernunft gesegnet sei,

Und daß sie sich gebe keine Blöße,
Versammlungen unnöthig nicht auflöse.

Den Altenburgern bleibe ferne
Gefahr durch „Sonne, Mond und Sterne".
Den Sachsen, daß „rothe Taschentücher"
Nicht werden erklärt für verbotene Bücher.

Den Nationalökonomcn, die
Doziren an einer Akademie,

Wünsch' ich als Gabe gute Feen,
Empfänglichkeit für neue Ideen.

Speziell dem Herrn Professor Brentano:
Daß er nicht rede so viel Guano
Und schreibe nicht eine Menge Ouarks,
Wenn er wieder lieft u. schreibt über Marx.

Die deutsche Muse möge genesen
Von allem byzantinischen Wesen.

Es werde befreit die deutsche Kunst
Von chauvinistischem Nebel und Dunst.

Der Presse wünsch' ich, daß jedes Reptil
Vereinigt werde im obern Nil
Mit seinesgleichen, den Alligatoren,

Die massenhaft werden im Schlämm geboren.

Ich wünsche, daß Maul- und Klauenseuche
Von allen ausländischen Schweinen Weiche,
Auf daß sie nicht ferner an der Grenze
In Sehnsucht traurig ringeln die Schwänze.

Mir selber wünsch' ich vielen Witz,

Der Rede Zunder, des Geistes Blitz,

Und soviel neue Abonnenten
Als Rothschild Mark einstreicht als Renten.

Der Wahre Jacob.

Berlin, zu Neujahr.

Lieber Jacob!

„Prost Neijahr" — bet is nu bet Erste, wat ick heite zu vermelben
habe. Prost Neijahr, lieber Jacob, nu is et Zeit, bet wir uns Beebe mal
eenen ornbtlichen, strammen, steifen Jrogk brauen lassen, unsere Jistnubeln
zwischen be Zähne klemmen, un uns nu mal 'n berben, biebern Ton er-
zählen von Alles, wat in bet letzte Jahr passirt ist, un bavon, wat wir von
bet nächste Jahr, wat ja nu ooch jleich een neiet Jahrzehnt un zwar bet
letzte von bet olle, wacklig un morsch jeworbene neinzehnte Jahrhunbert
inläutct, erwarten.

„Prost Neijahr — acht Jroschen her", so sagen wir Berliner; warum
tuir aber blos acht Jroschen haben wollen, bet weeß ick natierlich ooch nich,
un bet wirb woll ooch ieberhaupt keen Mensch wissen. Aber bet schab't ja
nischt, ick halte bet vor eene riestg bescheibene Forberung, un bie Rebensart
scheint mir in ben Sinn abjefaßt zu sein, bet ber, ber blos wenig forbert,
ieberhaupt nischt kriegt. Doch sonne tiefsinnigen Betrachtungen kann man
iebrigens jebet Jahr anstellen, bazu braucht man schließlich ben Schluß von
een Jahrzehnt jarnichmal rejulär abzuwarten. Also bie acht Jroschen kriegen
wir nich un wir brauchen se ooch nich; benn frieher, ba hätte man sich vor
ben Bebrag wenigstens noch Pulver koofen kennen, um bet neie Jahr anzu-
schießen, aber bet is ja nu schon seit zehn Jahre sozialistenjesetzlich von wejen
be verbotenen Schußwaffen untersagt, un ba wollen wir Beebe uns wejen
sonne Faxen uff unsere ollen Dage bie Finger ooch nich bran verbrennen.
Die Neijahrsanschießerei, bie wirb ja nu woll so wie so balb een Enbe
haben, benn wenn bet knalllose Pulver erst in ben Privatjebrauch ieber-
jejangen is, benn hat bie Sorte von Berjniegen ja janz von selbst een Enbe.

Dajejen bin ick sehr vor bie anberen ollen scheenen Jebräuche, bie sich bis
uff unsere Zeit vererbt haben. Zwar uff Bleijießen un so'n Zauber jebe
ick nich ville un habe nie wat bruff jejeben, benn wenn De bei sonne Sache
'n bisken tollpatschig bist un et fallt Dir een Droppen von bet jliehenbe
Zeich uff be jroße Zehe, benn mußte natierlich hopsen wie'n Heisprengsel,
un mit bet janze Neijahrsfest un mit bet janze Bleijießen liegste benn in't
Essen, Du hast nischt wie Aerjer von un an bet jejossene Blei kannste boch
nischt sehen. Dajejen kann ick Dir sagen, Jacob, Mohnpielen, bet is wat
Jebiegenet, ba kriegste, wenn De Dir 'ne olle, berbe, tüchtige Portion von
rinjeholfen hast, Bauchkneifen von, bie De bis Mitte Januar janz bestimmt
nich los wirst. Ick jloobe, barum essen wir Berliner ooch Mohnpielen so
jerne zu'n Sylvesterabenb, benn sonst wirbe uns ja zu wohl werben, wir
wißten ja sonst vor Berjniegen jarnich, wat wir eijentlich anfangen sollten.
Doch ick jloobe am Enbe jar, ick mache Dir ben Munb mit Mohnpielen
wässrig, un weeß selbst nich mal, wie se anjefertigt werben, un wat bet
Schlimmste is, ick quassele hier von Sachen, bie Dir nich interessiren. Aber
lass' mir man, Jacob, so zu Neijahr rum nehmen wir bet nich so jenau,
ba reben ja so ville Leite von Sachen, bie se nischt anjehen un von bie se
nischt verstehen.

Doch bet Jahrzehnt is zu Jrabe jebragen worben. Et war janz un
jar jenommen 'ne beese Zeit, un wir haben woll Oogenblicke jehabt, wo
uns riesig miesepetrig zu Muthe war. Wat is uns nich Alles passirt, wie
oste haben wir nich in be Klemme jesessen, un haben nich jewußt, wo aus
noch in, un wat is uns Alles jeboten worben! Weeßte, Jacob, meine Meinung
is, sonne Jahrzehnte un sonne Jahre mißten eijentlich hoppelt jezählt werben,
benn bet flnb richtige Kriegsjahre jewesen. Aber bafor jiebt et nischt un wir

Eilie schreckliche Sylvesternacht.

Erzählung von Bliemchrn.

!it gennen boch meine Albe? Nich? Na nabierlich, wer sollbe benn
* bie nich gennen! Se is gee Drache, weeß Gnebbchen nich, se is
blos ä bissel benniebel, se gann's nich leiben, wenn ber Lamben-
scherm um ä Millemeber verrubschb is ober wenn be Dhiere
quiebschb, un sogar an ä Schbrohbeckel bärf gee Unbhäbchen sein. Aber
eemal Hab se mer boch ä Schreck cingejagb, ber mer heibe noch in ben Gliebern
liegb, wenn ich bran benken bhue.

De Sache war nämlich so. 's war ä rechber galber Sylvesterabenb,
so ä Webber, wo mer'n Bunsch an liebsten gaffeegannenweise hinberkubbeln
mechbe, ba habbe ich ä baar Gäste gelaben: be bicke Mahle, 'n langen Gobblieb
un be Frau Schbeier-Einnehmersch-Assistenben-Wibbwe. Die hockben nu bei
meiner Alben un quasselben ieber'n Welbunbergang un ieber be bheieen
Fleeschbreise. Ich habbe mich uin Reine gebrickb un erschb in „Behmschen
Hof" an meinen Schbammbische noch ä gleenen Schafgobb gebroschen, wobei
mer'n Gewinn immer in Bränummeranbo in Neijahrsbunsch verknust habben.

Als ehrwärb'ges Famitjen-Oberhaubb blieb ich nabierlich nich lange
hocken, sonbern gam in ber letzben Schbunbe bes alben Jahres binkblich
heem, um's neie Jahr in heislichen Kreise anzuhochen.

Meine Albe un be bicke Mahle schwabbronirben ben Deifel grabe ä Ohr
weg, währenb mir ber lange Gobblieb blos meine besten Zigarren wegroochte.

Ich sage „Guben Abenb" — ba guckb mich meine Albe groß an un
bhub ä Schrei, als wenn se ä bolle geworbener Geenigsbieger in be gleene
Fußzehe gebissen häbbe.

„Nanu!" sag' ich ganz bärblex, „was hast Du benn?"

„Du — Du —!" schreib se ganz wübig un gann gar nich zu Worbe
gommen.

Alle guckben mich erschbaunb an, ich worbe ganz robh vor Berwunberung
un stagbe immer lvieber, was se häbbe. Da mormclbe se was von ä

unorbenblichen Mann, lieberlich —, ä Schbiegel wollt,' se mer vorhalben, —
na, lauber solches bummes Zeig.

„Ach so", sagbe ich: „wohl weil ich noch ä Schafgobb in alben Jahre
geschbielb habe? Aber bas haste boch gewußb un hast gar nischb babergegen
gehabb?"

Da braben ihr be Dhränen in be Oogen, se gonnbe gar nich mehr reben
un schibbelbe blos mib'n Gobbe.

Da guckd mich meine Aide groß an UN dhud ö Schrei.

„Also bas isses nich?" sagbe ich un ging mei Sinbenregister borchp was ich
ungefähr verbrochen Hamm gennbe. Ich habbe 'n Äbenb zuvor zwee -L ebbchen
mehr wie sonst gebrunken, habbe frieh mib ä baar Worben nnb ber Göchm
meinen Schbaß gehabb un berbei meinen Uhrschüssel verloren. Das war
Alles, was ich uff'n Gewissen habbe un besterwegen gonnbe se mer unmeegüch

so änne Szene machen. . ^ ^ ,, ., „

Die Anbern wichen vor mir zmnck, als wenn ich ber Reiber Jaromir
 
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