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verlangen ooch nischt, denn wenn wir heite in 'ne stille Stunde, wo wir uns
jesammelt haben, mal eenen Blick rickwärts richten, denn, Jacob, denn kann
sich unsere Brust doch mächtig heben, un Jeder, der zu unsere jemeinschaft-
liche Sache irgend wat, un wenn et ooch noch so'n bisken war, beijedragen

hat, der kann sich sagen, bet die Miehe und Roth, die wir jehabt haben,

doch nich umsonst war, un seehste, Jacob, so'n Oogenblick, der söhnt uns
mit Manchet aus, wat wir erduldet un hinterjewirgt hatten, weil wir mußten.
Vill is bitter jewesen un hat weh jedahn, bet stimmt, un ick bin der Letzte,

der det bestreiten mechte, aber det helft nischt; denn wenn wir blos immer

an de schlechten Stunden denken wollen, denn finden wir ieberhaupt den
Muth nich mehr, uni vorwärts zu jehen, denn haben wir keene Kourage,
um alle die neien Schwierigkeiten, die sich uns mit jedet neie Jahr entjejen-
stellen, zu ieberwinden — un wenn wir uns an so'nen Zeitpunkt, wie der
heilige eener is, befinden, denn sollen wir aus de verjangenen Thatsachen
det raussuchen, wat unser Herz höher kloppen laßt, un jeder Arbeeter, janz
schnuppe, wat er macht, kann heite den Kopp een paar Zoll höher dragen,
denn det, lieber Jacob, det steht doch vor uns bombenmäßig fest: wir können
uff eene stolze un unbefleckte Berjangenheit in det letzte Jahrzehnt zurück-
blicken, unsere deitschen Arbeeter haben sich jehalten, wie et sich vor tapfere
Männer, die wissen, vor wat se in't Zeich jehen, schickt. Un seehste, Jacob,
det is nich mal det Eenzigste. Denn der Arbeeterstand, det jetzt ooch aus
de letzten zehn Jahre vor Jeden, der sehen will, uff det Deitlichste hervor,
der Arbeeterstand, sage ick, der hat alleenc noch uff 'ne scheene un rosige Zu-
kunft zu rechnen. Denn unterjekriegt haben se ihn nich, det weeßt Du so
jut wie ick, lieber Jacob.

Mit sonne Jefiehle, lieber Jacob, marschire ick in det neie Jahrzehnt
rin, und ick hoffe un jloobe, det 'ne Unmasse von jute Jesinnungsjenossen
ebenso denkt. Darum schenk Dir noch een Jlas Jrogk in, un jieß Dir
eenen anständigen Droppen uff det fernere Jedeihen von unsere jute Sache
hinter Deine Binde, lieber Jacob, ick jönne et Dir von Herzen, denn ick
duhe det Jleiche. An'n Silvester un zu Neijahr da muß man det nich zu
jenau nehmen, un wenn da ooch mal Eener eenen Kleenen unter de Haare
hat, darum stürzt de Welt noch nich jleich in: Du weeßt doch, 'n orndlicher,
steifer Jrogk, der wird nich vor olle Weiber — ob se Hosen oder lange
Kleeder anhaben, det is ejal — jebraut, dazu jehören 'n Paar forsche Kerrels,
die nich so leichte unter'n Disch fallen. Un hier an unsere Ecke an'n Jörlitzer
Bahnhoff da jiebt et jlicklicher Weise immer noch 'ne Handvoll Jungens,
die sich vor keene Punschterrine ekeln, un wenn se so jroß wäre wie det
Dach von de Hedwigskirche, die Du vielleicht ooch kennst — wenn nich, denn
kann ick Dir blos sagen, det det Dach als Punschterrine jenommen jrade
nich allzukleen is.

Nu noch eenmal: Prost Neijahr, lieber Jacob, ick winsche Dir zu
Neijahr alles det, wat Du Dir selbst winschst; ick jloobe, det wir an den
Schluß von det neie Jahrzehnt uff een jutet Stick vollbrachte Arbeet zurück-
blicken kennen, uff eene Arbeet, die nich blos uns, sondern de janze Mensch-
heit zu Jute kommt. Un ick jloobe, so denken ooch alle unsere Fremde, un
dadruff hin bitte ick, det Jeder noch eenmal sein Jlas hochhebt — meins-
wegen kann er ooch aus de Pulle drinken — und det wir uns alle noch
eenmal een recht verjniegtet neiet Jahr zurufen, womit ick verbleibe
erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Hobelspähne.

Dieses neue Jahr ist doch eine merkwürdige
Zeit. Alle Welt gratulirt sich und Keiner weiß
eigentlich, wozu? Ich mache es daher anders, ich
gratulire meinen lieben Lesern zu ihrer philosophischen
Einsicht, mit der sie sich entschlossen haben, das
Leben von der heitern Seite zu betrachten und ihr
Witzblatt, den wahren Jacob, zur Hand zu nehmen.

* *

*

Die Witterungsaussichten für das Kartell sind
recht bedenklich. Die Wahl wird zwar mitten im
Winter stattfinden, aber der Winter kann so mild
werden, daß es selbst im Januar dem Kartell in
die Bude regnet.

•X- . . •&

' *

Der Hirsch nach frischem Wasser schreit,

Der Löwe brüllt zur Fütt'rungszeit,

Im deutschen Wald schreit der Uhu!

Auf Neuseeland das Känguruh.

Es schreit das Schwein in Todesnoth,

Wenn sich ihm naht der Schlachtentod,

In Blättern für das liebe Geld
Schreit heftig der Reklameheld,

Der Affe schreit in Afrika,

Der Esel schreit S)—a, 2) — a,

Und warum sollten nun allein
Agrarier nicht nach Schutzzoll schrei'n?

* *

Die theuren Preise von Rind- und Schweinefleisch machen sich bereits
in Offiziers- und höheren Beamtenkreisen derart geltend, daß diese Herren
häufig ihren Hunger mit Rebhuhn und Schnepfen stillen müssen. Trotzdem
hört man darüber nie murren und das Volk sollte sich daran ein Beispiel
nehmen.

* *

*

Im Elberfelder Sozialistenprozeß hat sich die merkwürdige Thatsache
herausgestcllt, daß die Polizei häufig nichts zu sagen hat, — sie

mußte vielfach die Aussage verweigern.

* *

*

Stanley ist nicht auf den Kopf gefallen — aber leider Emru
Pascha.

* *

*

Die große Schnupfen-Epidemie,

Die Influenza grassiret.

Schon ist das ganze Kartell verschnupft,

Weil Puttkamer kandidiret.

* *

Das Streben nach einer Einheits-Zeit für ganz Deutschland finde
ich sehr vernünftig. Dieselbe müßte natürlich in erster Linie für die Arbeits-
zeit gelten, und zwar als achtstündiger Normalarbeitstag.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

wäre, un ich gam in Angstschweeß, denn ich dachde, meine Alde is uff eemal
iebergeschnabbd.

„Christi!" schrie ich in de Giche, „hol'n Se 'n Dokder, hol'n Se ä baar
Dokder, hol'n Se drei Dokdersch, meine Frau is grank."

Da raffd se sich noch ämal uff, schmeißd mir ä vernichdenden Blick zu,
zeigd nach meinen Halse mit änner Handbewegung, als wenn ich gehenkd
wer'n mißde un fälld in Ohnmachd.

„Se werd doch nich vergifd' sein?"

Wie ich nu so verzweifeld daschdehe, schdreckd der lange Goddlieb seine
Arme aus un greifd nach den Glase, wo meine Alde draus gedrunken hadde,
beschnarchd's von allen Seiten un schbrichd mid ä imberdenenden Seidenblick
uff mich:

„Se werd doch nich vergift' sein?"

Nu war'sch Erschrecken an mir! Wenn die schderbd un ich gomme als
Gisdmischer vor de Geschwor'nen. Mer had Beischbiele von unschuld'gen

Berurdheelungen gehadd! Ich sah mich schon uff der Gilljediene rumzabbeln

--un in diesen schrecklichen Oogenblicke da werd's neie Jahr eingelauden

un Alles schreid: „Brost Neijahr!" „Sollst leben!" un so weider. 's war
mer de reene Ironie, denn an der halbdoden Leiche meiner Alden, die mich
hadde gehenkd seh'n woll'n un die verdächd'gen Blicke von die Andern —
da dachd ich: mid'n Leben had's nu an längsten gedauerd.

Da drampelden draußen Schridde. Das werden de Schandarmen sein,
meende ich in meinen Jammer.

Aber nee, 's waren de drei Dokdersch, die de Christel gehold hadde.
Die fielen nu gleich ieber meine Alde her un brachden se wieder zum Leben.
Ich war schon froh, aber wie ihr Blick uff mich fiel, zuckde se wieder zu-

samm' un machde de
Bewegung nach'n
Halse.

„Ja, was is
denn nur mid ihr?"
fragde nu ooch de
Schdeier - Einneh-
mersch - Assistenden-
Widdwe, die bisher
mit ä griminalisti-
schen Gesichde uff
Alles genau uffge-
baßd hadde.

Aber de Dok-
dersch worschdelden
weider un nach änner

„Ach Godd, Du liederlicher Mann

halben Schdunde
hadden se meine Alde
so Weid, daß se wie-
der reden gonnde.
Nu drad ich vor se
hin un sagde ft rechd
innig un herzlich:
„Aber Frau!
Bis nur nich albern!
Was haste denn ge-
gen mich?"

Da machd se
wieder die schreckliche
Bewegung nach mei-
nen Halse un jam-
mert:

weeßde denn gar nich, daß

Deine Krawadde ganz verrudschd is?" — —

Sähnse, die verrudschde Krawadde hadde se so alderird, daß se in
Ohnmachd fiel un mich in Dodesangst brachde un der ganze Bunsch drieber
gald wurde. So benniebel is meine Alde.
 
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