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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 3): Stauferzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15265#0085

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Universales Kaisertum
und nationales Königtum
im Zeitalter Kaiser Friedrich II.

Ansprüche und Wirklichkeit

Im Jahre 1198, dem Jahr, das Heinrich Mitteis als das schicksalhafte Wendejahr in
der rechtsgeschichtlichen Entwicklung des deutschen Königtums wie des Kaisertums
sieht', hat Walther von der Vogelweide den wohl ältesten seiner drei Gesänge im Reichs-
ton gedichtet, worin es, nachdem Walther die Natur und ihre Ordnung beobachtend ge-
schildert hat, und daß alles Getier sogar Recht und Gerechtigkeit, Herrn und Knecht um
des ,Sinnes' willen sich gesetzt habe, heißt2:

,so we dir tiuschiu zunge

wie stet din ordenunge,

daz nü diu mugge ir künec hat

und daz din ere also zergät!

bekerä dich, bekere!

die cirkel sint ze here,

die armen künege dringent dich:

Philippe setze ein weisen üf, und heiz si treten hinder sich!'

Vor allem die letzten drei Zeilen, so scheint mir, verdienen im Zusammenhang mit
unserem Thema vorzüglich Beachtung. Da fordert Walther Philipp von Schwaben, den
jüngeren Bruder des im Jahr zuvor verstorbenen Kaisers Heinrich VI. und Oheim des
dreijährigen Friedrich auf, den , Weisen', d. h. ,pars pro toto' die Kaiserkrone, die ja in sei-
nem Besitz ist, auf sein Haupt zu setzen und ,sie' in ihre Schranken zurückzuweisen.
Dabei erklärt sich das ,sie' aus den voraufgehenden Versen: ,die cirkel sind ze here, die
armen künege dringent dich'. Die ,cirkel' bedeuten aber hier die christlichen Könige Eu-
ropas, vor allem Frankreichs, Englands und Dänemarks, die nur Stirnreife im Gegensatz
zur Kaiserkrone tragen. Sie herrschen nur über ein Land und Volk, sind also ,arme kü-
nege', ,reguli', ,provinciarum reges'3.

Dieses Gedicht Walthers beleuchtet schlagartig, wie wir meinen, die Situation eben
des Jahres, das Friedrich IL, den seit 1196 gewählten römischen König, als Vollwaisen
und König von Sizilien zurückließ. Die Wirklichkeit tritt klar zutage: Im Reich herrscht
Mißordnung (sie wird als Schuld des deutschen Volkes gesehen mit der ganzen Konse-
quenz, die diese nach mittelalterlicher Geschichtsauffassung und Theologie hat), und
das bedeutet eine Störung des gottgewollten ,ordo' in der gesamten christlichen Völker-
und Staatenwelt, für die, und das ist wichtig, bei Walther das deutsche Volk als Reichs-
volk ebenfalls die Verantwortung trägt.

Da gibt es aber auch, entgegen der Wirklichkeit, die als Mißordnung gesehen wird
und wo insbesondere das Herr- und Knecht-Verhältnis nicht mehr klar und ,in Ord-
nung' ist, eine höhere Wirklichkeit, die dem ,sin', der gottgegebenen Vernunft also, ent-
spricht: diese Ordnung, die Überordnung des eigentlichen Herrschers, der die eigentliche

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