122 BESPRECHUNGEN.
Veranstaltung durch verdienstvolle Bearbeitung des Stoffes bestätigt. Der eigentliche
Darstellungstrieb kommt andrerseits vor allem in der gebärdenhaften Schilderung der
erzählenden Zeichnung zum Ausdruck. Hartlaub stellt hier wieder eine allmählich
von rein gegenständlicher Zusammenstellung (Fragmentbilder) fortschreitende Ent-
wicklung fest. Daß Bewegungsausdruck und erscheinungsmäßige Gestaltung dabei
keineswegs immer gleichen Schritt halten, scheint auch ihm nicht entgangen zu sein,
und mag ihn in der Absonderung der typischen von der künstlerischen Kinderzeichnung
bestärkt haben. Als vorherrschenden Zug kindlichen Phantasielebens glaubt er die
Richtung auf das Übersinnliche und Außergewöhnliche, also ein Stück Romantik,
bezeichnen zu können, daneben eine starke Neigung zum Komischen, d. h. zur Kari-
katur, aus dem Bedürfnis der Selbstbehauptung. Ohne das bestreiten zu wollen, wird
man doch noch eine gründlichere Sonderung der verschiedenen Phantasieleistungen
und ihres zeitlichen Hervortretens fordern müssen. Was die Mannheimer Ausstellung
dafür geliefert hat, wird von Hartlaub verwertet. Daß er in alledem den unbewußt
wirkenden Genius erkennt, der nur in dem wahrhaft begnadeten Kinde über das
jugendliche Alter fortlebt, ändert nichts am tatsächlichen Gehalt der treffenden Be-
obachtungen, die auch eine psychologische Deutung zulassen und vom wissenschaft-
lichen Standpunkt erfordern. Das psychogenetische Grundgesetz (s. o.) sucht der
Verfasser durch »Parallelen« der Kinderkunst mit der der Primitiven zu stützen,
die schon von Ricci bemerkt und besonders von Levinstein verfolgt, neuerdings jedoch
vielfach bestritten worden sind. Er spricht hier manches zutreffende Urteil aus, so
z. B. über das Verhältnis der ersteren zur ägyptischen Kunst als folgerichtiger Durch-
führung des orthoskopischen Darstellungsprinzips, wie das H. Schäfer jetzt erwiesen
hat (vgl. meine Besprechung in der D. Lit.-Ztg. 1923, Nr. 14—52). Wenn er jedoch
auf der Hypothese Verworns von der Priorität der physioplastischen Kunst (des
Paläzolithikum, der Buschmänner und Eskimo) fußt und daraus folgern will, daß auch
in der allgemeinen Kunstentwicklung Zeichen und Gesicht von jeher gesondert neben-
einanderstehen, so bleibt dieser Schluß ebenso unwahrscheinlich wie die durch manche
neuere Feststellungen stark erschütterte, wenn nicht gar schon widerlegte Voraus-
setzung. Zuzugeben ist höchstens, daß unter äußeren begünstigenden Einflüssen die
erscheinungsmäßige Auffassung sich (vielleicht dank der Einwirkung der subjektiven
optischen Anschauungsbilder) sehr schnell aus der schematischen Darstellungsweise
entwickeln konnte, — genau wie beim begabten Kinde. In der Grundanschauung
möchte auch ich Hartlaub durchaus zustimmen und halte deshalb seine Hinweise auf
die Unterschiede, die bei diesem und bei den Primitiven eine scheinbar verschieden-
artige Erfüllung derselben immanenten Gesetzmäßigkeit hervorrufen, für das Beste
an seinen einschlägigen Ausführungen, wenngleich einzelne Behauptungen, wie die,
daß der Spieltrieb in der Kunst der Wilden und hier wie dort der Drang zu plasti-
scher Gestaltung der ideographischen Kunst mangle, fehlgehen. Ein überzeugender
Nachweis konnte ihm schon deshalb nicht gelingen , weil er auf die Übereinstim-
mungen und Ähnlichkeiten der Gestaltung nicht näher eingeht. Die weitere Paral-
lele mit den Kunsterzeugnissen Schwachsinniger, die durch Krötzsch ihre überzeugende
Erklärung aus dem Zwiespalt des rhythmischen Bewegungstriebes und der Phantasie-
vorstellung gefunden haben, sollte ihn doch am Glauben von dem unbewußt wirken-
den Genius im Kinde ein wenig irre machen. Doch das ist letzten Endes eine Welt-
anschauungsfrage. Kritisches Urteil beweist er zur Genüge in der dankenswerten
Auseinandersetzung mit dem gekünstelten primitiven Stil des neueren Expressionis-
mus, die eine längere Anmerkung füllt.
Die Grundanschauung des Verfassers scheint sich im Verlaufe der Betrachtung
geklärt zu haben. In den letzten beiden wiederum enger zusammenhängenden Ka-
Veranstaltung durch verdienstvolle Bearbeitung des Stoffes bestätigt. Der eigentliche
Darstellungstrieb kommt andrerseits vor allem in der gebärdenhaften Schilderung der
erzählenden Zeichnung zum Ausdruck. Hartlaub stellt hier wieder eine allmählich
von rein gegenständlicher Zusammenstellung (Fragmentbilder) fortschreitende Ent-
wicklung fest. Daß Bewegungsausdruck und erscheinungsmäßige Gestaltung dabei
keineswegs immer gleichen Schritt halten, scheint auch ihm nicht entgangen zu sein,
und mag ihn in der Absonderung der typischen von der künstlerischen Kinderzeichnung
bestärkt haben. Als vorherrschenden Zug kindlichen Phantasielebens glaubt er die
Richtung auf das Übersinnliche und Außergewöhnliche, also ein Stück Romantik,
bezeichnen zu können, daneben eine starke Neigung zum Komischen, d. h. zur Kari-
katur, aus dem Bedürfnis der Selbstbehauptung. Ohne das bestreiten zu wollen, wird
man doch noch eine gründlichere Sonderung der verschiedenen Phantasieleistungen
und ihres zeitlichen Hervortretens fordern müssen. Was die Mannheimer Ausstellung
dafür geliefert hat, wird von Hartlaub verwertet. Daß er in alledem den unbewußt
wirkenden Genius erkennt, der nur in dem wahrhaft begnadeten Kinde über das
jugendliche Alter fortlebt, ändert nichts am tatsächlichen Gehalt der treffenden Be-
obachtungen, die auch eine psychologische Deutung zulassen und vom wissenschaft-
lichen Standpunkt erfordern. Das psychogenetische Grundgesetz (s. o.) sucht der
Verfasser durch »Parallelen« der Kinderkunst mit der der Primitiven zu stützen,
die schon von Ricci bemerkt und besonders von Levinstein verfolgt, neuerdings jedoch
vielfach bestritten worden sind. Er spricht hier manches zutreffende Urteil aus, so
z. B. über das Verhältnis der ersteren zur ägyptischen Kunst als folgerichtiger Durch-
führung des orthoskopischen Darstellungsprinzips, wie das H. Schäfer jetzt erwiesen
hat (vgl. meine Besprechung in der D. Lit.-Ztg. 1923, Nr. 14—52). Wenn er jedoch
auf der Hypothese Verworns von der Priorität der physioplastischen Kunst (des
Paläzolithikum, der Buschmänner und Eskimo) fußt und daraus folgern will, daß auch
in der allgemeinen Kunstentwicklung Zeichen und Gesicht von jeher gesondert neben-
einanderstehen, so bleibt dieser Schluß ebenso unwahrscheinlich wie die durch manche
neuere Feststellungen stark erschütterte, wenn nicht gar schon widerlegte Voraus-
setzung. Zuzugeben ist höchstens, daß unter äußeren begünstigenden Einflüssen die
erscheinungsmäßige Auffassung sich (vielleicht dank der Einwirkung der subjektiven
optischen Anschauungsbilder) sehr schnell aus der schematischen Darstellungsweise
entwickeln konnte, — genau wie beim begabten Kinde. In der Grundanschauung
möchte auch ich Hartlaub durchaus zustimmen und halte deshalb seine Hinweise auf
die Unterschiede, die bei diesem und bei den Primitiven eine scheinbar verschieden-
artige Erfüllung derselben immanenten Gesetzmäßigkeit hervorrufen, für das Beste
an seinen einschlägigen Ausführungen, wenngleich einzelne Behauptungen, wie die,
daß der Spieltrieb in der Kunst der Wilden und hier wie dort der Drang zu plasti-
scher Gestaltung der ideographischen Kunst mangle, fehlgehen. Ein überzeugender
Nachweis konnte ihm schon deshalb nicht gelingen , weil er auf die Übereinstim-
mungen und Ähnlichkeiten der Gestaltung nicht näher eingeht. Die weitere Paral-
lele mit den Kunsterzeugnissen Schwachsinniger, die durch Krötzsch ihre überzeugende
Erklärung aus dem Zwiespalt des rhythmischen Bewegungstriebes und der Phantasie-
vorstellung gefunden haben, sollte ihn doch am Glauben von dem unbewußt wirken-
den Genius im Kinde ein wenig irre machen. Doch das ist letzten Endes eine Welt-
anschauungsfrage. Kritisches Urteil beweist er zur Genüge in der dankenswerten
Auseinandersetzung mit dem gekünstelten primitiven Stil des neueren Expressionis-
mus, die eine längere Anmerkung füllt.
Die Grundanschauung des Verfassers scheint sich im Verlaufe der Betrachtung
geklärt zu haben. In den letzten beiden wiederum enger zusammenhängenden Ka-