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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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BESPRECHUNGEN. |23

piteln über »Einfluß, Umwelt« und »Unterweisung« wird der Begriff des Genius in
eine wissenschaftlich annehmbare Formel gebracht, die sich als die allgemeine psy-
chogenetische, kindhafte Lage der Sonderbegabung des Individuums umschreiben läßt.
Sie wirkt durch ihre seelischen Einschränkungen gleichsam gegen nachteilige äußere
Einwirkungen schützend, zugleich aber auch durch ihre triebhafte Kraft befreiend auf
diese bei ihrem Hineinwachsen in die Umwelt. Den Gedanken und Folgerungen
Hartlaubs über diese für den Kunstunterricht entscheidende Fragen kann ich in allen
wesentlichen Punkten nur zustimmen. Es liegt ja auf der Hand, daß es unmöglich
und deshalb verkehrt wäre, das Kind gegen die Eindrücke der es umgebenden Kunst
absperren zu wollen, die je nach seiner Begabung und Reife einen mehr oder weniger
anregenden Einfluß auf seine zeichnerische Betätigung ausüben müssen. Förderung
wird sie aber nur durch die Darbietung solcher Bilderbücher und solchen Spielzeugs
erfahren, die seinem eigenen jeweiligen Gestaltungsvermögen sozusagen wahlverwandt
sind. Der Verfasser glaubt da eine Auswahl einfacher zumal holzschnittartiger Dar-
stellungen der älteren Kunststile nicht nur den illusionistischen Bildern, sondern auch
den für das Kind eigens zurückgebildeten Abbildungen der modernen Kinderbuch-
illustration vorziehen zu sollen, — wohlgemerkt aber doch nur solcher, die nicht
allzuviel von fremdartiger Stilisierung enthält. In einem trefflichen Überblick über
die Entwicklung des Zeichenunterrichts seit der in den neunziger Jahren einsetzenden
Abwendung vom akademischen Kunstideal und seiner pedantischen Lehrmethode
zeigt er, daß auch die damals eingeleitete »Erziehung des Kindes zur Kunst« durch
Schulung seiner Formauffassung und Naturbeobachtung am Vorbilde der Wirklichkeit
und die damit verbundene Freigabe aller technischen Kunstmittel noch nicht die
schöpferische Künstlerkraft in ihm freizumachen und zu heben imstande gewesen ist,
sowenig wie die Vorführung von Werken der hohen Kunst außerhalb und innerhalb
des gesamten Schulunterrichts. Anzuknüpfen ist die Kunsterziehung vielmehr an die
reine Kinderleistung vorzugsweise im freien Zeichnen aus der inneren Vorstellung
heraus, wie das von begabten und einsichtigen Lehrern heute in mannigfaltiger Weise
geschieht. Die eigenartige Sonderbegabung wird dann gewiß in der Regel die ihr
angemessene Richtung einschlagen, — doch kann meines Erachtens dieser Weg zu-
nächst nur zum Erkennen der Begabungsstärke und der Begabungsric.htung dienen.
Bedenklich erscheint mir besonders die Forderung einzelner neuerer Zeichenlehrer,
der auch Hartlaub noch zu viel Spielraum lassen will, dem Kinde gegenständliche
Gebilde möglichst fernzuhalten und es sich im Sinne des heutigen Expressionismus
im reinen Linienrhythmus oder in Farbensymphonien ergehen zu lassen. Das kann
höchstens dekorativen Begabungen zu reicherer Entfaltung Anregung bieten. Daß das
reine Gedächtniszeichnen, zumal bei der Durchschnittsbegabung, unfruchtbar bleibt,
ist von E. Meumann durch wiederholte umfassende Erhebungen festgestellt worden.
Es gilt also für den Lehrer, diejenigen Vorbilder an jedes Kind heranzutragen, die
seiner Auffassung wahlverwandt sind und ihm doch neue künstlerische Keime ver-
mitteln. Ich stimme Hartlaub durchaus darin zu, daß die ältere Kunst zu diesem
Verfahren reiche Schätze bietet. Auch die jüngste Kunst wollen wir ihm nicht gänzlich
vorenthalten, aber doch auch nicht mit allen ihren gewollten Naivitäten und Über-
treibungen zur Nacheiferung zuführen. So mag die Sammlung der Zeichenklasse
möglichst mannigfaltig sein und dem Kinde die Wahl möglichst freigegeben werden.
Dann bleiben aber immer noch die wichtigsten Einzelfragen zu entscheiden, welcher
Art die Vorlagen ihrer Gestaltung nach auf den einzelnen Entwicklungsstufen für die
durchschnittlich Begabten sein sollen, auf die nun einmal jeder Schulunterricht be-
rechnet sein muß. Mir scheint, daß wir da seit Kerschensteiners Reformarbeit immer
noch auf dem richtigen Wege sind, wenngleich die Ergebnisse der neuesten Kinder-
 
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