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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0249

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246 BESPRECHUNGEN.

bar die erste Voraussetzung einer solchen: daß die vorbereitende Forscherarbeit das
gesamte Material an Lebensstoff und an Kunstgebilden und an Theoremen nicht nur
zusammenstellt, sondern auch dermaßen durchleuchtet, durchgreift und durchdringt,
daß die »Mitte« überall hell und deutlich wird, aus der heraus und um die herum
das komplizierte Gebilde »Friedrich Hebbel« gewachsen ist. Psychologische Zer-
faserung führt hier nicht weiter. Es bedarf vielmehr einer Methode, die wohl nie
Universalmethode werden könnte, einer Hebbel-Methode sozusagen, die es gestatten
würde, die gesamte Hinterlassenschaft des Dichters, in der sich überall Persönlich-
stes und Überpersönlichstes, Zeitgebundenes und Ewiges seltsam verschlungen zeigt,
aus der Einsicht in ihren gemeinsamen Wurzelgrund heraus wirklich frei zu beherr-
schen, anstatt an den miteinander unvereinbar erscheinenden Einseitigkeiten zu schei-
tern, die seine scharfzackig zerklüftete Oberfläche bilden.

Eine zwiefache Doppelbegabung hat Hebbel selbst immer wieder in die schwie-
rigsten Situationen gebracht, und zwar als Menschen sowohl wie als Künstler. Sein
Denken arbeitete mit dem D i c h t e n in einer neuen, vor ihm noch nicht dagewesenen
Form von Verbundenheit zusammen — diese Form kann vom Denken wie vom
Dichten her nicht allein gefährdet, sondern auch verkannt werden. Dies ist die eine
Klippe, an der zahlreiche Kunstkritiker, die Hebbels »Reflektieren« störte, und zahl-
reiche Ästhetiker, die ihm umgekehrt ein philosophisches System zumuteten, ge-
scheitert sind. Wer die Tagebücher richtig versteht, wird sie vermeiden (vgl. hierüber
meinen Aufsatz »Hebbel und Hegel«, Preußische Jahrbücher 1922). Eine zweite
Klippe aber liegt noch viel versteckter. Hebbel konzipierte ausschließlich episch
und gestaltete ausschließlich dramatisch — so scheint es. Aber auch hier handelt
es sich um eine diesmal zwar nicht neue (schon bei Euripides läßt sie sich nach-
weisen !) wohl aber seltene Form von Verbundenheit, die gleichfalls von zwei Seiten
her, von der epischen und von der dramatischen, gefährlich und mißverstanden
werden kann. Auf die Fächer einer verstaubten Schulpoetik eingeschworene Literar-
historiker und auf die Anforderungen der Bühne eingestellte Dramaturgen kommen
hier zu Falle. Ein vorurteilsfreies Eindringen in die Geheimnisse von Hebbels Lyrik
würde sie wahrscheinlich vor ihrer Einseitigkeit bewahren. Denn hier stecken (ebenso
wie in den Chorliedern des Euripides!) meines Erachtens noch Aufgaben für eine
zukünftige Ästhetik, deren Lösung dann für die Beurteilung sowohl der Dramen als
der epischen Versuche Hebbels fruchtbar gemacht werden mag, nachdem die her-
kömmlichen Maßstäbe versagten. —

Keinem der beiden Werke, die hier zur Besprechung stehen, ist der schwierige
Kurs zwischen der zwiefach drohenden Skylla und Charybdis ganz und gar gelungen,
doch erheben sich beide über das Durchschnittsniveau der eintönig gewordenen
Hebbel-Literatur — und das gibt das erfreuliche Recht und die Pflicht auf sie hin-
zuweisen, obwohl sie beide seit langem nicht mehr unbekannt sind und bereits in
3. Auflage erscheinen. Weder Scholz noch Georgy ist zufällig zu Hebbel gekommen,
sondern für beide bedeutete das Ringen mit dem großen Dithmarschen eine persön-
liche Notwendigkeit: das spürt der Leser auf jeder Seite. Beide bringen eine Fülle
eigenster Gedanken und Gesichtspunkte: das macht die Lektüre anregend und hält
selbst den ermüdeten »Kenner« fest.

Wilhelm v. Scholz bietet in glücklicher Essayform den Genuß einer Höhen-
wanderung in kühler, durchsichtiger Luft mit mancherlei Um- und Einblicken. Doch
steht nur der Tragödiendichter Hebbel in Frage und interessiert vorzüglich vom
dramaturgischen Standpunkt aus. Damit ist die innere Grenze der Kritik bezeichnet,
die Scholz in reichlichem Maße übt. Als Bühnenleiter verlangt er überall ein Drama
und will sich nicht mit der bloßen Tragik begnügen, die es auch in der Novelle
 
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