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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0530

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BESPRECHUNGEN. 527

eingeborenen Schicksal geworden. Daß hier eine Methode verknüpft erscheint mit
schicksalsmäßiger, psychophysischer Bestimmung, gerade das ist das Eigentümliche
der Stefanskyschen Intuition.

Und sein bedeutsamer Gedanke gewinnt ungemein an Überzeugungskraft, wenn
er nun die wichtigsten Klassiker und Romantiker einzeln zur Bestätigung heranzieht.
Es geschieht das in tiefdringenden und kenntnisreichen Einzeluntersuchungen, gipfelnd
in einer Reihe von Umwertungen, denen nachzurühmen ist, daß sie durchaus über-
raschen, ohne doch etwas Gewaltsames zu haben.

Stefansky verknüpft seine Unterscheidung zwischen klassischer und romantischer
Denkform nun aber weiter mit den Sauer-Nadlerschen Theorien. Nach Sauers um-
fangreichen Erhebungen wäre das künstlerische Wesen eines Menschen nicht das
Resultat seiner Bildung, sondern seiner Abstammung. Es ist psychophysisches Erb-
gut. Blut, Stammeszugehörigkeit und Heimaterde bedingen das Gepräge eines
Schaffenden. In Übereinstimmung damit sucht dann Nadler den Nachweis zu führen,
daß alle westdeutschen, alle allemannischen Dichter tatsächlich klassisches Gepräge
tragen, während alle ostdeutschen, slavisch berührten Dichter, den romantischen
Habitus aufweisen. Hier setzt Stefansky ein, indem er dem Habitus des klassi-
schen und romantischen Menschen eine festere Unterlage gibt als irgend einer seiner
Vorgänger. Aber er meidet Einseitigkeiten und anerkennt — das ist das Neue —
doch auch die Wichtigkeit des Bildungserlebnisses neben der Uranlage des Blutes.
Immer wieder zeigt er an Beispielen, daß der Westdeutsche zwar seiner Uranlage
nach Klassiker ist, aber durch mächtige Strömungen seiner Zeit in das Lager der
romantischen Denkform herübergetrieben werden kann. Und gewiß wird man gut
tun, in der Geistesgeschichte doch neben der neuen Sauer-Nadlerschen An- und Ein-
sicht auch eine von der Rasse unabhängige, originale Zeugung und Befruchtung
des Geistes durch den Geist anzuerkennen, eine Befreiung geradezu von der Rasse
durch den Geist. Unser geistiger Stamm deckt sich nicht mit unserem leiblichen.
Sondern der Geist hat als Zusammenhang und Wechselwirkung der Geister, ja der
Ideen unabhängig von den Geistern, seine Eigengesetzlichkeit und bestimmt den
geistigen Menschen mindestens so sehr von sich aus, wie dieser ihn. Ähnlich wie
das Werk sehr bald über die Intentionen des Autors hinauswächst und seiner eigenen
Norm folgt, so auch der Geist als ganzer. Man könnte deshalb geradezu behaupten:
Alle Schaffenden sind einer Rasse und empfangen ihre Ahnen wesentlich aus den
Elementen ihrer Bildung, nicht ihrer Abstammung. Der deutsche Impressionismus
von 1900 ist von französischem Geist gezeugt. Chamisso, Heine, De la Motte,
Fontane dagegen sind durchaus deutsche Dichter, nicht von blutswegen, sondern
weil ihr Geist sich aus deutschem Geist befruchtet und formt. Schelling und Berg-
son sind — rein als Denker betrachtet — verwandter als Schelling und Fichte, die
gleichstämmigen, und als Bergson und Spinoza, die Blutsverwandten. — Die Wir-
kung der Rasse soll jedoch nicht bestritten werden; nur zeigt sie sich modifiziert
durch das Prinzip einer urtümlichen Zeugung des Geistes aus dem Geist. Und es
ist erfreulich, daß Stefansky sich hier vor Einseitigkeiten der Richtung bewahrt.

Der Romantiker ist nach Stefansky jener Geist, der das Ideal beständig durch
die Einzelbeobachtung kontrolliert und modifiziert. Eine Erklärung dieses roman-
tischen Wesens fände sich in der eigentümlichen Zeitbedingtheit des romantischen
Menschen. Denn der Romantiker ist der Erbe des Klassikers. Den Erben einer
Kultur aber unterscheidet vom Primitiven: daß er von allen Dingen bereits etwas
gehört hat, ehe er noch etwas von diesen Dingen zu sehen bekommt. Er hat
bereits Vorstellungen: durch die Berichte der älteren Generation aber noch keine
eigenen Eindrücke. Während beim Primitiven die Eindrücke also den Vorstellungen
 
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