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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0531

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528 BESPRECHUNGEN.

vorhergehen, gehen beim Epigonen und Schüler die Vorstellungen den Eindrücken
vorauf. Und es drängt den Erben nun, sich zu seinen Vorstellungen nachträglich
die konkreten Erfahrungen, die Eindrücke zu holen. Diese Eindrücke treten dann
aber beim Epigonen nicht mehr wie beim Primitiven in einen leeren Seelenraum,
sondern sie messen sich mit der bereits anwesenden Vorstellung, die etwas vom
Vorurteil hat, vom verschönenden übrigens. Jeder neue Eindruck aber ist dergestalt
von nun ab kein einfaches Erlebnis mehr, sondern zugleich die Korrektur oder Ver-
neinung eines apriorischen Bildes, das er verdrängt. So wird der Gewinn an ErT
fahrung zugleich zum Verlust einer Illusion. Empirie und Skepsis wachsen mitein-
ander. Diese Situation führt beim Romantiker jedoch trotz skeptisch-ironischen
Einschlags noch nicht zur Krise. Und das erklärt sich aus der Gesamtsituation, in
die sich der bisher geschilderte Sachverhalt einordnet.

Romantik, das ist nämlich nur eine Phase innerhalb der Geschichte einer großen
Liebe, wie sie allen geistigen Strömungen letztlich zum Grunde liegt. Jede große
Liebe beginnt mit dem Ideal (klassisches Stadium), durch dessen Lockung sie sich
entzündet. Diese Liebe verlangt nun mehr. Sie wünscht immer mehr zu wissen
und genauer kennen zu lernen. Und dabei wächst unversehens (man denke an das
Griechentum) vor dem Idealbild das Bild einer Wirklichkeit auf, die ganz anders
ist, als das Ideal verhieß, die das Ideal geradezu abmauert. Der Liebende hat aus
Liebe das Material zusammengebracht, das seine Liebe zu erdrosseln droht. Und
nun entsteht eine Krise. Entweder die Liebe siegt über die belastende Erfahrung,
sie findet sich mit den Tatsachen ab; und ein liebend beschwingter Realismus setzt
sich an die Stelle des ursprünglichen, liebend beschwingten Idealismus. Oder aber,
die formale Freude an der Erkenntnis selbst, am Wissenszuwachs- und Zusammen-
hang, am Finden und am Funde setzt sich an die Stelle der Liebe zur Sache, die
nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Und es ist nicht mehr die Begeisterung
für den Gegenstand, sondern die sportliche Lust am Forschen, was die Arbeit an
der Sache aufrecht erhält. Der Romantiker aber wäre der Mensch, der nicht die
Freude an der Tätigkeit untergeschoben hat zum Ersatz für die verloren gegangene
Freude am Inhalt der Tätigkeit, sondern jener Mensch, der einen liebend beschwing-
ten Realismus dem liebend beschwingten Idealismus einerseits und dem sportlich
betriebstüchtigen Formalismus anderseits gegenüberstellt. Der Romantiker dieses
Schlages erwächst aus Stefanskys Entdeckungen über das »Wesen der deutschen
Romantik«.

Solcher Entdeckungen seien nun noch einige besonders namhaft gemacht.
»Romantik und Religion«, »Romantik und Philosophie«, »Romantik und Naturwissen-
schaft«, so grenzt Stefansky den Inhalt einzelner Kapitel ab. Nun stellt er, auf
Dessoir und Külpe fußend, in sehr glücklicher Weise fest, daß das Verhältnis des
Romantikers zur Religion kein ursprüngliches ist, nämlich kein religiöses, sondern
nur ein ästhetisches. Und von hier aus ergibt sich ihm ein Ausblick auf den Be-
griff der Decadence. Ein ästhetisches Verhältnis zur Religion könnte nämlich darauf
beruhen, daß das wahre, das echte Verhältnis zur Religion noch nicht Platz ge-
griffen hat. Aber es wird eines Tages Platz greifen. So lagen die Dinge beispiels-
weise zu Beginn der Reformation. Die Romantiker dagegen können nur noch ein
ästhetisches Verhältnis zur Religion haben, weil der Erkenntnisstand ihrer Zeit ihnen
ein unmittelbares, ein uninterpretiertes Verhältnis schlichter Gläubigkeit überhaupt
nicht mehr erlaubt. Sie beten in Wahrheit nicht mehr in schlichtem Glauben zu
Gott, sondern sie beten den schlichten Glauben selber an. Nicht das Göttliche,
sondern der Beter, der Andächtige ist der Gegenstand ihrer Verehrung. Vor der
Reformation ist die Religiosität noch nicht unmittelbare Religiosität, aber sie kann
 
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