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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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BESPRECHUNGEN. 6Q7

Whitmans bekannt, in welchem dieser Zwiespalt zwischen Form und Inhalt voll-
ständig ausgeglichen wäre.

In Walt Whitman finden wir eine analoge Erscheinung zum »Sturm und Drang«
in Deutschland. Auch dort rangen neue Strebungen und Impulse danach, sich aus-
zudrücken, Dichtung zu werden. Das Unsagbare sollte gesagt, sollte gesungen
werden. Was uns, den Nachgeborenen, dieses Streben so rührend macht, ist doch
wohl der Umstand, daß wir das Ziel kennen, dem die Stürmer und Dränger zu-
strebten, die Rhythmen singen, denen sie nachspürten. Wir haben Goethe, den
sie ahnten. So glaube ich auch nicht, daß Whitman die endgültige Erscheinung ist,
als welche ihn seine Bewunderer auffassen. Er ist ein Bahnbrecher und Pfadfinder,
in ihm hat das Beste und Tiefste, das in der amerikanischen Volksseele lebt, zum
ersten Mal Ausdruck gefunden, und mit schwerer Zunge lallt es neue Töne in die
Stimmen der Völker hinein. Aber es wird ein Größerer kommen als Whitman und
vielleicht wird er uns zeigen, daß es etwas sehr Einfaches war, was Whitman suchte
und nicht fand, eine neue Form des Volksliedes, wie das Lied Goethes es war, und
welches doch in seinen einfachen und selbstverständlichen Rhythmen den unend-
lichen Gehalt zu fassen vermag, den die große Seele Whitmans in sich hegte.

Erlangen. ____________ Paul Hensel.

Ethel D.Puffer, The Psychology of Beauty. Boston and New York, Houghton,
Mifflin and Comp. 1905. 8°. 286 S.

In einem einleitenden Kapitel sucht die Verfasserin die Grenzen abzustecken
zwischen Kritik und Ästhetik. Auf dem Gebiete der Kritik bekämpfen sich die Ver-
treter der impressionistischen und der wissenschaftlichen Richtung. Die impressio-
nistische Kritik sucht mit eigenen Mitteln einen ästhetischen Eindruck hervorzurufen,
der dem Eindruck des zu würdigenden Werkes entspricht. Sie reicht nicht aus,
denn sie kommt nicht über die Schranken des Individuellen hinweg. Auch die
wissenschaftliche Kritik genügt nicht, denn sie vermag keine Wertunterschiede
aufzuzeigen. Die Lösung dieser Aufgabe wird aber von der Kritik in allererster
Linie erwartet; man will von ihr erfahren, welchen Wert und damit welche Berech-
tigung ein genossenes Kunstwerk hat, und nicht wie es als ein Produkt der Ent-
stehungsbedingungen und als ein Glied im Entwicklungsprozeß der Kunstgattung
zu begreifen ist. Den dazu erforderlichen Wertmaßstab kann sich die Kritik aber
nicht selbst herstellen, das ist Sache der Ästhetik. Die Kritik übernimmt ihn von
dieser, mißt an ihm das gegebene Kunstwerk und leitet aus ihm den besonderen
Wert des Werkes ab.

Mit der Aufstellung des allgemeinen Wertmaßstabes beschäftigt sich das 2. Kapitel:
■«The Nature of Beauty«. In der Gegenwart sucht man die Gesetze des Schönen
induktiv, und zwar vorwiegend auf psychologischem Wege aufzudecken. Offenbar
ohne Erfolg; denn die ästhetische Erfahrung ist individuell so verschieden, daß auf
diese Weise nicht einmal eine Abgrenzung des Gebietes möglich wird. Eine Defi-
nition dessen, was schön ist, muß vielmehr vom philosophischen Standpunkte aus
gewonnen werden. Schönheit ist ein Zweck, ein Wert neben den sonstigen Zwecken
und Werten des Geistes. Diese Bestimmung kann freilich nicht die ästhetische Er-
fahrung im konkreten Einzelfalle erklären — das zu verlangen, wäre unbillig —;
mit der Aufzeigung der Mittel, durch welche das Schöne im besonderen Falle er-
reicht wird, mit der Ableitung der Wirkung aus den individuellen Ursachen, tritt
vielmehr die Psychologie in ihre Rechte. — Die philosophische Bestimmung des
Schönen gewinnt die Verfasserin an der Hand von Kant, Schiller, Schelling, Hegel
 
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