RAHMEN, FORMENSCHÖNHEIT UND BILDINNERES. 89
und über der noch ein Stück fernen Bergdreiecks sichtbar wird. Über-
haupt verhalten sich Berge und Küsten wie Winkelstücke und Parabel-
stücke; und Baumdurchblicke und Talhintergründe bilden Fünf- und
Sechsecke, wenn auch vielleicht torsierte. In der Kunst wie in der
Natur löst sich also das formenschöne Bild zuletzt gänzlich auf in
ein Ineinandergreifen geometrischer Figuren und Figurenteile, die sich
gegenseitig rahmen. Deshalb kann man wohl sagen: alles ist Bild im
Bild, weil ja jedes Stück von einem anderen gerahmt erscheint; ebenso-
gut läßt sich aber freilich auch behaupten, alles ist Rahmen, weil es
überall nur Rahmen in Rahmen gibt; ein Kern dagegen fehlt. Das
Nichts und das Alles berühren sich hier. Die Situation ist ähnlich
wie in der Ethik, wo alles als Zweck und alles als Mittel angesehen
werden kann und mangels eines letzten Zweckes das Weltgetriebe als
eine bloße Reihe von Hüllen sich darstellt ohne Endziel, wenn man
sich nicht entschließt, jede einzelne von ihnen zugleich als Zweck
aller anderen gelten zu lassen.
Die geometrische Vollfigur, so fanden wir, hat Typenschönheit,
denn sie hat Ebenmaß und Geschlossenheit. Aber auch die geo-
metrische Teilfigur mußten wir noch typenschön nennen, obwohl ihr
Geschlossenheit fehlte, weil sie Ebenmaß besaß. Indessen gibt es
nun noch eine dritte Formengattung, der man in gewissem Umfang
Typenschönheit gleichfalls nicht absprechen kann, obgleich sie das
Ebenmaß der geometrischen Figuren vermissen läßt: es ist die un-
regelmäßige, aber geschlossene Gestaltung. In ihr tritt die Lücken-
losigkeit, mit der jedes notwendige Gesetz waltet, mit der jedes Ganze
seine Teile eint, gleichsam für sich allein zutage und an die Peripherie1).
Geschlossene Linienführungen haben alle normalen Außenrahmen. Sie
haben demnach auch von hier aus Typenschönheit. Umgekehrt aber
sondert, rahmt jede geschlossene Linienführung ja auch ihren Binnen-
raum. Und so zieht sich der Rahmen auch hier wieder ins Bild
selbst. Zu den geschlossenen Linienführungen im Bilde gehören nun
vor allem Kontur und Silhouette, von denen ja bereits bei Parallelen-
schönheit und Parallelenrahmung sowie bei der rahmenden Heraus-
hebung eines übergeordneten Zentrums die Rede war. Jetzt bleibt
also noch hinzuzufügen, daß Kontur und Silhouette als geschlossene
Formen doch auch stets etwas von typischer Schönheit haben, selbst
bei unregelmäßiger Gestaltung; und zwar um so mehr, je geschlos-
') In der notwendigen Lückenlosigkeit des Gesetzes gegenüber den Einzelfällen,
des Ganzen gegenüber seinen Teilen liegt die Brücke von der Typenschönheit, die
unser Ausgangspunkt ist, zur Everthschen Unversehrtheit, die der Rahmen verbürgen
soll. Lückenlosigkeit, Unversehrtheit ist uns in gewissen Fällen eine Schönheits-
bedingung.
und über der noch ein Stück fernen Bergdreiecks sichtbar wird. Über-
haupt verhalten sich Berge und Küsten wie Winkelstücke und Parabel-
stücke; und Baumdurchblicke und Talhintergründe bilden Fünf- und
Sechsecke, wenn auch vielleicht torsierte. In der Kunst wie in der
Natur löst sich also das formenschöne Bild zuletzt gänzlich auf in
ein Ineinandergreifen geometrischer Figuren und Figurenteile, die sich
gegenseitig rahmen. Deshalb kann man wohl sagen: alles ist Bild im
Bild, weil ja jedes Stück von einem anderen gerahmt erscheint; ebenso-
gut läßt sich aber freilich auch behaupten, alles ist Rahmen, weil es
überall nur Rahmen in Rahmen gibt; ein Kern dagegen fehlt. Das
Nichts und das Alles berühren sich hier. Die Situation ist ähnlich
wie in der Ethik, wo alles als Zweck und alles als Mittel angesehen
werden kann und mangels eines letzten Zweckes das Weltgetriebe als
eine bloße Reihe von Hüllen sich darstellt ohne Endziel, wenn man
sich nicht entschließt, jede einzelne von ihnen zugleich als Zweck
aller anderen gelten zu lassen.
Die geometrische Vollfigur, so fanden wir, hat Typenschönheit,
denn sie hat Ebenmaß und Geschlossenheit. Aber auch die geo-
metrische Teilfigur mußten wir noch typenschön nennen, obwohl ihr
Geschlossenheit fehlte, weil sie Ebenmaß besaß. Indessen gibt es
nun noch eine dritte Formengattung, der man in gewissem Umfang
Typenschönheit gleichfalls nicht absprechen kann, obgleich sie das
Ebenmaß der geometrischen Figuren vermissen läßt: es ist die un-
regelmäßige, aber geschlossene Gestaltung. In ihr tritt die Lücken-
losigkeit, mit der jedes notwendige Gesetz waltet, mit der jedes Ganze
seine Teile eint, gleichsam für sich allein zutage und an die Peripherie1).
Geschlossene Linienführungen haben alle normalen Außenrahmen. Sie
haben demnach auch von hier aus Typenschönheit. Umgekehrt aber
sondert, rahmt jede geschlossene Linienführung ja auch ihren Binnen-
raum. Und so zieht sich der Rahmen auch hier wieder ins Bild
selbst. Zu den geschlossenen Linienführungen im Bilde gehören nun
vor allem Kontur und Silhouette, von denen ja bereits bei Parallelen-
schönheit und Parallelenrahmung sowie bei der rahmenden Heraus-
hebung eines übergeordneten Zentrums die Rede war. Jetzt bleibt
also noch hinzuzufügen, daß Kontur und Silhouette als geschlossene
Formen doch auch stets etwas von typischer Schönheit haben, selbst
bei unregelmäßiger Gestaltung; und zwar um so mehr, je geschlos-
') In der notwendigen Lückenlosigkeit des Gesetzes gegenüber den Einzelfällen,
des Ganzen gegenüber seinen Teilen liegt die Brücke von der Typenschönheit, die
unser Ausgangspunkt ist, zur Everthschen Unversehrtheit, die der Rahmen verbürgen
soll. Lückenlosigkeit, Unversehrtheit ist uns in gewissen Fällen eine Schönheits-
bedingung.