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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0135
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BESPRECHUNGEN. \ 3 j

definitiv verbauen würde. Kunstgeschichte ist mehr als nur Problemgeschichte und
Stilgeschichte, sie muß unbefangener und freier, aus einer volleren und mehr
erlebten Anschauung der Kunst und ihres Zusammenhanges mit dem Leben selbst
getrieben werden, sie muß »wahrer« sein gegenüber der historischen Wirklichkeit,
als es die Stilgeschichte mit ihrer vorwaltenden Richtung auf Begrifflichkeiten und
Gesetzlichkeiten zuläßt.

Basel. ___________ Ernst Heidrich.

August Kalkmanns Nachgelassenes Werk. Herausgegeben von Hermann
Voß. Berlin, Verlag von Karl Curtius, 1910. Quart. 286 S.
Der Hamburger Patriziersohn August Kalkmann war außerordentlicher Professor
der klassischen Archäologie an der Universität Berlin. Er starb als ein knapp Zwei-
undfünfzigjähriger im Jahre 1905, viel zu früh allen denen, die die geistvollen Vor-
träge und seminaristischen Übungen des künstlerisch ungemein feinfühligen Mannes
jemals mitgemacht hatten. Kalkmanns spezieller Lehrauftrag erstreckte sich auf das
Grenzgebiet von Philologie und Archäologie, auf die Untersuchung der literarischen
und theoretischen Quellen der Kunstgeschichte des klassischen Altertums: aus
diesem Wissenschaftskreise heraus erwuchsen seine drei Hauptwerke, quellenkritische
Untersuchungen über den Peiiegeten Pausanias, über die kunsthistorischen Teile
aus Plinius' Historia naturalis und seine genauen Messungen der Proportionen des
Gesichts in der griechischen Plastik des 5. und 4. Jahrhunderts, die von den uns
überlieferten ästhetischen Axiomen des Argivers Polyklet ihren historischen Aus-
gang nahmen.

Der doktrinäre Zwang, der diesen, auch inhaltlich nicht immer ganz glücklichen,
Schriften anhaftet, läßt eigentlich nur wenig das in die Erscheinung treten, was ihrem
Verfasser als letztes, innerstes Ziel vorgeschwebt hat. Um nämlich unsere ästhe-
tische Anschauung von hellenischer Kunst möglichst zu vertiefen, ging sein Streben
dahin, stets die treibenden geistigen Momente aufzusuchen, aus denen das ein-
zelne Kunstwerk geboren ward. Diese ästhetischen Einzelaufdeckungen sollten sich
aneinanderreihen und das schließlich so entstehende System eine griechische Ge-
samtkunstgeschichte darstellen, nicht der Künstler mit der banalen Zufälligkeit ihres
Schaffens und der mit ihnen individuell verknüpften Kunstwerke, sondern der
Geistesanschauungen, der ästhetischen und philosophischen, wie sie sich in
den Kunstwerken und vor allem in den ganzen Stilrichtungen realisieren. — Von
diesem angedeuteten Plan findet sich in den von Kalkmann selbst noch heraus-
gegebenen Schriften nur weniges ausgeführt, am meisten noch in der Einleitung
jenes Winckelmannprogrammes über die Proportionen des Gesichts in der griechi-
schen Kunst, welche die Wandlungen in der Schätzung der Proportionen und
eines rationalen Formideals durch die antike Kunstgeschichte hin verfolgt. Mehr gab
er von seinen ihm eigentümlichen ästhetischen Ideen in seinen Vorlesungen, und
aus diesem Kreise stammen offenbar auch alle die Einzelaufsätze, bald kürzer,
bald ausführlicher skizzierte Betrachtungen, welche hier Hermann Voß als sein
»Nachgelassenes Werk« veröffentlicht, allen Schülern und Freunden Kalkmanns
als eine besonders wertvolle Ergänzung des von ihm selbst Publizierten und als
eine schöne, nunmehr fixierte Erinnerung an den lebendigen Eindruck seines so
geistreichen Vortrags, denjenigen aber, die ihn persönlich kennen zu lernen nicht
das Glück hatten, als eine neue, philosophische Art, alte wie moderne Kunst in
vertiefter Betrachtung zu genießen. —

Es gibt sicher keinen zweiten Kunsthistoriker, der in dem Maße wie August
Kalkmann Künstleransichten, Künstleraussprüche und -lehren aller Zeiten und aller
 
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