Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0296
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
292 BESPRECHUNGEN.

tatsächlich aber Verbundenen war ja das Kennzeichen der alten Metaphysik gewesen,
die Kant entwurzelt hatte. Und doch scheint mir gerade dieser Teil des Kantischen,
von Cohen in seinen früheren Werken erweiterten Gedankenganges noch heutzutage
wieder und wieder verfehlt und vergessen zu werden. Wie alle letzten Begriffe, zu
denen das Denken vordringen kann, Korrelatbegriffe sind, wie die Vereinigung sich
nur korrelativ zu einer Sonderung (nämlich von einem faktischen oder möglichen
Andern), die Sonderung nur korrelativ zu einer Vereinigung (nämlich des jeweils
Gesonderten) denken läßt, so daß das eine immer nach dem andern ruft, wie die
Substanz nur korrelativ zu möglicher Veränderung, die Veränderung nur korrelativ
zu der Substanz (genauer zu dem Identischen der Substanz) sich denken lassen, so
daß keines von beiden ohne Rücksicht auf das Andere »seinem Wesen nach«
(Husserl) erkannt werden kann oder gar gesondert zum metaphysisch Letzten erhoben
werden dürfte, so war von Kant auch »Gegenstand« und Erkenntnis (oder Bewußt-
sein, Verstand, Geist usw.) als korrelativ erkannt worden. Keines von beiden läßt
sich an sich begreifen; schon es an sich zu »setzen« ist verfehlt, wie nicht minder
jede von solchem »An-sich-setzen« ausgehende Umdeutung der Korrelation in Gleich-
heit oder Identität.

Aber noch heute kommt der Empirismus nicht von der Vorstellung los, als fände
die Erkenntnis (oder Bewußtsein, Geist usw.) den Gegenstand vor, nehme ihn in
gewissem Sinne wahr, stoße sozusagen mit der Nase auf ihn. Man sieht nicht,
daß es einen Gegenstand in seiner Einheit nur gibt durch einen Gesichtspunkt, der
gerade diese Einheit — zugleich sie gegen ein Anderes sondernd — bedingt. Hierin
beruht die Korrelation von Gegenstand und Erkenntnis (oder Bewußtsein usw.).
Hat man dies aber erkannt, so wird man dem Bilde, daß die Erkenntnis ihren
Gegenstand (sei es auch nur als Phänomen) vorfinden könne, keinen Sinn mehr
abgewinnen. Vielmehr wird man das für sich durchaus anzuerkennende Moment
der durchgängigen Bedingtheit alles als wirklich oder richtig Vorgestellten, das
in jenem unglücklichen Bilde festgehalten werden sollte, anders bestimmen müssen.
Was vorgefunden werden kann, ist ja niemals der Gegenstand an sich, sondern
immer nur die letzte von der Erkenntnis gewonnene, selbst stets mehr oder weniger
konventionelle und provisorische Synthese, die jenem Gegenstande gegolten hatte;
und in der die Spontaneität der Erkenntnis sich bereits mit dem Moment der
durchgängigen Bedingtheit, wenn eben auch nur provisorisch, auseinandergesetzt
haben muß. Wie hier das Nebeneinander von Rezeptivität und Spontaneität der
Erkenntnis in freilich schwierigster Komplikation jenem Momente gerecht zu werden
vermag, kann an dieser Stelle nicht eingehend erörtert werden.

Wenn nun Cohen dem Bewußtsein oder dem Denken eine »erzeugende« Be-
deutung beilegte, was allerdings eine gefährliche Ausdrucksweise ist, so geschah
dies lediglich, weil seine Front gegen den herrschenden Empirismus gerichtet war,
und er diesem gegenüber, der die Rezeptivität der Erkenntnis übertrieb, das Moment
der Spontaneität zu seinem Recht zu bringen suchte. Bedenkt man jedoch, daß für
Cohen die alle Metaphysik im alten Sinne ausschließende Korrelation von Gegen-
stand und Erkenntnis der Ausgangspunkt seines Denkens war, so wird man ihm
auch nicht mehr unterschieben, was ihm zu behaupten nicht in den Sinn kommen
konnte: daß die Realität von der Erkenntnis oder dem Denken, dem Bewußtsein,
der Vernunft oder irgend einem von diesen Dingen, die selbst doch nur Korrelationen
zu bestimmten, in der Abstraktion isolierbaren Seiten der Realität darstellen — im
metaphysischen Sinne erzeugt sei.

Es liegt eine gewisse Ironie darin, daß Cohen, der rein logisch denkende, in
seiner Ausdrucksweise bildhaft werdend, doch wieder jenen ewigen Irrtum zu unter-
 
Annotationen