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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0312
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308 BESPRECHUNGEN.

melnden Kräfte so ineinandergreifen, daß sie der Zuschauer aus der Entfernung
nicht wahrnimmt.«

Aber auch in den gleichgültigen Gebieten des alltäglichen Lebens vermag
Oraßberger für seine Ansichten Bestätigungen zu finden, z. B. wenn Menschen,
die durch ihre Tagesarbeit erschöpft sind und in deren Bewußtsein die Entlastungs-
vorgänge des Mystikers, das Überspringen der Assoziationen und die Umkehrungen
nicht von selbst vorgehen, die Zerstreuung durch äußere Energie aufsuchen, woher
die große Nachfrage nach Humor, Wi z und dergleichen, der außerordentliche
Aufschwung der Witzblätter in unsere Zeit komme.

Was schließlich die äußeren Einflüsse angeht, die die Entstehung der Ermüdungs-
zustände begünstigen oder verhindern können, so erkennt der Autor der Nahrungs-
entziehung einen begünstigenden Einfluß zu und bringt die in vielen religiösen
Vorschriften enthaltenen Fastgebote mit der Häufigkeit mystischer Erregungen in
Zusammenhang. Auch beschränkter Reichtum des erworbenen Bewußtseinsinhalts
könne bei Konzentration des Denkens die Entstehung von Bildern hervorrufen, die
niemals aus der Erinnerung schwinden und das Handeln der Menschen triebartig
beeinflussen. Man wird vielleicht einen ziemlich ausgedehnten Gebrauch von diesem
Satz machen können, z. B. an Konventikler, Sektierer, aber auch einfachere Menschen
aus Zeiten der Entwicklung großer Religionen denken dürfen, wobei freilich nicht
zu vergessen ist, daß auch die einfache Tatsache eines beschränkten Reichtums des
erworbenen Bewußtseinsinhalts genügt, um rege Köpfe, mag man sie versunken
oder grüblerisch oder sonstwie nennen — ich denke an recht simple Lebens-
verhältnisse — zu Eigenbrötlern, Querköpfen und Fanatikern zu machen, ohne
daß noch die umkehrende Wirkung der Ermüdung zur Erklärung nötig wäre. Auch
wenn der Verfasser bei einer Erklärung der geistigen Leistungen des Klosterlebens
neben den Fastgeboten das vielfach vorkommende Abhalten aller äußeren Sinnes-
reize und ferner überhaupt den Mangel an äußerer Ablenkung, das Zölibat und die
Befreiung von Sorgen um den Erwerb hinzunimmt, so wird man ihm zustimmen,
daß sich daraus Lebensbedingungen ergeben, die bei begabten Menschen die geistige
Schaffenskraft im höchsten Grade steigern können, ohne daß man gerade in dem
Fasten oder in den Ermüdungserscheinungen den wichtigsten Faktor für die zu-
meist doch recht gesunde und normale geistige Betätigung der Klosterinsassen zu
sehen braucht.

Aber zu welch guten Einsichten das Schriftchen im ganzen verhelfen kann,
mag zuletzt noch einmal ein Wort vom Schluß seiner Ausführungen belegen. »Das
Verständnis für das Ordnen der Assoziationen, für das methodische Sammeln von
Analogien und Umkehrungen ist durch keine andere Kunst so unmittelbar und
überzeugend zu wecken, wie durch die Musik. Die Werke unseres großen Bach,
der in seinen Fugen die Zerstreuungen im Moment des Entstehens blitzartig ordnet,
sind in dem Grade ihrer Vollkommenheit durch nichts zu übertreffen.« Aus den
Anmerkungen schließlich fiel mir bei einer Stelle das Beispiel des Magus Hamann
ein, von dessen Stil Herman Grimm einmal sagt, es passiere einem, daß man
halbe oder ganze Seiten lese, ohne etwas zu verstehen, und daß man dann am
Ende so'cher Abschnitte durch irgend ein Wort den ganzen früheren Zusammen-
hang blitzartig erhellt bekomme; hieran dachte ich, als ich über die Beziehung der
Sprache zur Mystik bei Graßberger las: »Abgesehen von allen persönlichen Er-
fahrungen bereichert schon die Stammesgeschichte der Sprachsymbole den Umfang
der mit einem Wortbild assoziierten Vorstellungen ins Ungemessene. Sie begleiten,
im Unterbewußtsein sich der Schwelle des Bewußtseins bald nähernd, bald sich von
ihr entfernend, das Wortbild, wie die Obertöne den Hauptton, und bes.immen seine
 
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