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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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Dessoir, Max: Über das Beschreiben von Bildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0448
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444 MAX DESSOIR.

Standes anschließt, hätte daher zuallererst dasjenige anzugeben, was
die anfängliche, d. i. die Hauptwirkung hervorruft; ihre späteren Sätze
würden immer weiter ins Nebensächliche hinabgleiten.

Die Berechtigung dieses Anspruchs versuchte ich experimentell zu
prüfen, indem ich ein Bild, das der Versuchsperson unbekannt war,
für die Zeit einer Sekunde der Betrachtung darbot und beschreiben
ließ. War das geschehen, so wurde das Bild von neuem eine Sekunde
lang gezeigt und die Aussage ergänzt oder auch verbessert. Auf
diese Art sollte die Beschreibung dem wirklichen Gang der Aufnahme
angepaßt werden, und jedenfalls konnte es der Versuchsperson un-
möglich gemacht werden, im ersten Teil der Beschreibung mehr oder
anderes zu sagen, als was beim ersten Anblick gesehen wird.

Da die fachmäßige Beschreibung des Kunsthistorikers und nicht etwa die un-
befangene Schilderung des Laien unser Problem bildet, so sind nur Fachleute als
Versuchspersonen herangezogen worden, und daneben noch zwei Maler, die im
anderen Sinne ja die eigentlichen Fachleute sind. Es waren die Herren Dr. Gustav
von Allesch, Fritz Burger, Dr. Max Deri, Dr. Kurt Glaser, Dr. August Grisebach,
Kurt Herrmann, Dr. Max Osborn, Dr. Emil Schaeffer, Dr. Emil Utitz, Dr. Werner
Weisbach. Ihnen allen bin ich zu lebhaftem Dank verpflichtet, insbesondere aber
Herrn von Allesch, der mir bei der Vorbereitung und Durchführung der Versuche
behilflich war, und Herrn Utitz, der in den von ihm geleiteten Übungen an der
Rostocker Universität eine längere Reihe von Kontrollexperimenten vorgenommen
hat. Endlich gebührt mein Dank auch Herrn Prof. Stumpf, der Räume und Apparate
des von ihm geleiteten Psychologischen Instituts, und Herrn Prof. Goldschmidt, der
die Diapositive seines kunstgeschichtlichen Seminars zur Verfügung stellte.

Die Versuchsanordnung war die folgende. Vor einem Projektionsapparat war
eine die Öffnung deckende Metallscheibe angebracht. Diese Scheibe konnte schnell
und lautlos hochgezogen und ebenso fallengelassen werden. Der Versuchsleiter
hatte ein Metronom neben sich, das auf den Zeitraum von einer Sekunde eingestellt
war. Die Versuchspersonen saßen im Dunkelraum vor der Leinwand, auf die das
Bild geworfen werden sollte, hinter ihnen standen Apparat und Metronom. Nach-
dem das Metronom kurze Zeit im Gang war, ertönte bei einem Schlage das Signal
»Achtung«; nach zwei weiteren Schlägen wurde die Verschlußscheibe für den Zeit-
raum einer Sekunde entfernt und somit das Bild projiziert. Das Zimmer blieb dann
noch kurze Zeit dunkel, um den Versuchspersonen die Verfestigung des Eindrucks
zu erleichtern; sobald Licht gemacht war, schrieben sie eine Schilderung des Bildes
nieder, ganz in dem Sinne, wie sie als Kunstgelehrte oder Künstler zu tun gewöhnt
sind. War die erste Beschreibung fertig, so begann das Spiel von neuem, und
schließlich noch /ein drittes Mal. Nun wurde das Bild für längere Dauer exponiert,
die Versuchspersonen lasen ihre drei Beschreibungen vor, erläuterten angesichts des
Bildes unklare Stellen ihrer Berichte und beantworteten meine Fragen. Was sich
auf diese Art ergab, wurde nicht in die Beschreibung aufgenommen, sondern ab-
gesondert davon aufgezeichnet.

Ich bin mir dessen wohl bewußt, daß diese Versuchsanordnung nicht von blen-
dender Exaktheit ist. Schon die Begrenzung der Expositionszeit durch zwei Be-
wegungen, die möglichst gleichzeitig mit zwei Metronomschlägen erfolgen, läßt
Willkürlichkeiten zu; das Fehlen eines auslöschenden Reizes kann als unkontrollier-
bare Verlängerung der Expositionszeit erscheinen usw. Aber bei ersten Versuchen
 
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