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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0611
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604 BEMERKUNGEN.

poetischen. So zeichnet sich die poetische Sprache vor allem dadurch vor der
nichtpoetischen, auf den Verstand zielenden Sprache aus, daß ihr eine gewisse, auf
Gefühlswirkungen ausgehende Gewähltheit eignet. Diese Gewähltheit kann auf
die verschiedensten Gefühle ausgehen, kann ebensowohl das Grandiose, Prächtige,
wie das Schlichte, Natürliche, Naive anstreben. Besondere Formen dieser Gewählt-
heit sind die Neologismen, Archaismen, Idiotismen usw., die indessen je nach dem
aufnehmenden Subjekt die mannigfachsten Gefühle erregen können, deren Mannig-
faltigkeit durch die psychologische Ästhetik aufgedeckt werden muß. Besonders
behandelt werden Epitheton ornans und Gleichnis, die entweder eine sach-
liche Verdeutlichung oder eine Gefühlssteigerung herbeiführen können,
was beides in der Poesie als Stilmittel verwandt - wird. Die Metapher geht
durchaus nicht immer auf Anschaulichkeit aus, sondern ist oft schon zum Be-
griff erstarrt. Gute Poeten verwenden zwar stets möglichst lebendige, d. h. auch
die anschauliche Phantasie und damit das Gefühl anregende Metapher. Eine be-
sondere Form ist die Personifikation, die dem den meisten Menschen eignenden
Anthropomorphisierungstrieb entgegenkommt, indessen verschiedene Grade von der
bloßen Belebung bis zum ausgemalten Bild und der nur durch Reflexion zu er-
fassenden Allegorie aufweist. — Es ist Aufgabe einer psychologischen Ästhetik,
diese große Mannigfaltigkeit der Wirkungsmöglichkeiten klarzulegen und dadurch
das ästhetische Erleben für jeden einzelnen möglichst bewußt werden zu lassen,
eventuell auch weiter zur Übernahme anderer, größere Wirkungen versprechender
Erlebnisformen zu führen. Erst auf Grund einer solchen breiten empirischen Basis
wird es vielleicht später möglich sein, gewisse Normen zu gewinnen. Leider sind
bisher alle Normenaufstellungen verfrüht gewesen, weil sie ohne Kenntnis und Be-
rücksichtigung der Mannigfaltigkeit des ästhetischen Erlebens konstruiert worden
waren. — In der Diskussion wird vor allem betont, daß auf diesem Weg eine Ab-
grenzung der poetischen Sprache von der allgemein üblichen nicht zu erzielen sei,
und ferner, daß wohl einzelne Fälle, nicht aber gesetzmäßige Zuordnungen von
poetischen Ausdrucksformen und Gefühlswirkungen gegeben worden seien. Der
Vortragende beschränkt dementsprechend den Sinn seiner Darlegungen auf einen
Hinweis zur Untersuchung der einzelnen Stilformen.

In der Schlußsitzung des Jahres sprach Herr Dr. E. Utitz »Über Natur-
genuß«. — Bei der häufigen Erörterung der Frage, ob denn dem Naturgenuß oder
dem Kunstgenuß eine höhere Bedeutung zukomme, hat man meist in der Unter-
suchung vergessen zu fragen, ob es sich denn nicht etwa um wesentlich verschiedene Ge-
gebenheiten handle, derart, daß eine unmittelbare Vergleichbarkeit gar nicht besteht.
Das Eigenrecht des Natur- wie des Kunstgenusses muß keineswegs dadurch er-
wiesen werden, daß der eine den anderen übertreffe, sondern dadurch, daß sie ver-
schiedenen Bedürfnissen und Werten Genüge leisten, worauf ihre Einzigartigkeit
und Unersetzlichkeit beruhe. Es gilt nun, die verschiedenen typischen Formen des
Naturgenusses kennen zu lernen, also differentiell-psychologische Methoden auf
dieses Gebiet anzuwenden. Dann ergibt sich durch kritische Ausdeutung der ein-
zelnen Typen der »echte« Naturgenuß, den wir in den Fällen vor uns haben, bei
denen die gesamte Naturwirklichkeit ästhetischer Gegenstand wird. Schon die Be-
teiligung der niederen Empfindungen im Naturgenuß ist eine ganz andere als im
Kunstgenuß; sie gehören in weitestem Maße zur ästhetischen Naturwirklichkeit.
Als Folge ergeben sich häufig eine stärkere körperliche Beteiligung und eine Intensi-
vierung des Eindrucks. Aber noch ein weiterer Umstand ist zu berücksichtigen:
wenn einer ermattet durch die laue Sommernacht schleicht, so wird sie ihm leicht
selbst zum Ausdrucke der Erschlaffung und Erweichung; geht er mit frischen Sinnen
 
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