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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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Laurila, Kaarle S.: Zur Lehre von den ästhetischen Modifikationen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0023
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ZUR LEHRE VON DEN ÄSTHETISCHEN MODIFIKATIONEN. 19

betrifft, so kennzeichnet sich auch hier das Charakteristische durch
die Eigenschaften »des Harten, Grellen, Auseinanderweichenden, Zer-
rissenen« (S. 36). Und dementsprechend bekundet sich das Charak-
teristische auch auf dem Gebiete des Tons, der Poesie und überall
sonst durch die Eigenschaften des Schroffen, jähen, Eckigen, Zer-
rissenen usw.

Diese Fassung des Charakteristischen kommt mir einigermaßen
seltsam vor. Wie ich den Begriff des Charakteristischen auffasse,
ist es unmöglich, vom Charakteristischen in abstracto zu reden. Ent-
weder ist es ein Gegenstand, der charakteristisch ist, oder es ist eine
Eigenschaft, die für irgend einen Gegenstand charakteristisch ist.
Nenne ich einen Gegenstand charakteristisch, so meine ich damit, wie
schon früher erklärt wurde, einen Gegenstand, der durch eine stark
ausgeprägte gattungsmäßige oder individuelle Eigenart sich scharf und
deutlich von allen anderen Gattungen oder Individuen unterscheidet.
Daß aber diese Eigenart sich immer gerade durch die Eigenschaften
des Schroffen jähen, Harten, Unterbrochenen, Eckigen, Zerrissenen usw.
kennzeichnen sollte, liegt durchaus nicht in dem Begriff des Charakte-
ristischen. Ich rede von charakteristisch griechischem Profil, von
charakteristisch finnischer Binnenseelandschaft — und ich glaube, auch
andere Menschen reden von dergleichen. Aber in keinem von den
eben erwähnten Fällen handelt es sich um etwas Schroffes, Eckiges,
Unterbrochenes, Hartes, Zerrissenes. — Nenne ich wiederum eine
Eigenschaft charakteristisch, so meine ich eine solche, die besonders
deutlich die Eigenart eines Gegenstandes oder eines Individuums ent-
hüllt. Die Zugehörigkeit zu einem Gegenstand ist also für eine cha-
rakteristische Eigenschaft unbedingt notwendig.

Wie ist es nun zu erklären, frage ich, daß Volkelt den Begriff des
Charakteristischen in einer so widerspruchsvollen Weise beschreibt
und zergliedert? Es kann nicht im Ernst davon die Rede sein, daß
diesem feinen und scharfen Denker logische Fehler entgingen, die
auch einem verhältnismäßig ungeschulten Verstand auf der Hand zu
liegen scheinen. Die Erklärung muß anderswo zu suchen sein. Und
in der Tat, glaube ich, besteht die Erklärung darin, daß Volkelt bei
der Beschreibung desjenigen ästhetischen Typus, den er mit dem Namen
des Charakteristischen bezeichnet, zwar von der gewöhnlichen Bedeu-
tung des Wortes »charakteristisch« ausgeht, allmählich aber zu einem
anderen ästhetischen Typus gelangt. Und dieser ist das verpönte Häß-
liche, allerdings in einem eingeschränkten Sinne genommen und von
der objektiven Seite her beschrieben. Die Schroffheit, Zerrissenheit,
Unregelmäßigkeit und mangelnde organische Einheit, durch die Volkelt
das vermeinte Charakteristische kennzeichnet, was sind sie anderes
 
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