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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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BESPRECHUNGEN. 125

Maskerade in den Trionfi der Karnevals- und Festziige; sie gelangt zu einem Höhe-
punkt, als die Kirche nicht mehr ausschließlich Beicht- und Bußort, die Stätte
individueller Versenkung in das Mysterium der Religion, sondern ein Festsaal der
allgemeinen gottesdienstlichen Feier geworden war, und sie fällt ihrem Verhängnis
anheim, als die Menschen sich im Leben selbst ständig auf der Bühne wähnten
und so in einen egozentrischen Idealismus hineingerieten, der mit der Natur ein
willkürliches Rahmenspiel trieb.

Dieser Auffassung des Barocks wird man auch vom Standpunkte des modernen
Kunsthistorikers im großen und ganzen beipflichten dürfen; sie ist ja auch gar nicht
so durchaus neu, wie der Verfasser zuweilen anzunehmen scheint, wie denn über-
haupt seine häufige Polemik gegen die »hochsinnigen Ungerechtigkeiten« Jakob
Burckhardts eigentlich überflüssig und seine Bezeichnung des Barocks als »Stiefkind
der Kunstwissenschaft': kaum verständlich ist gegenüber der Fülle nicht bloß kunst-
philologischer Arbeit, die das letzte Menschenalter gerade an diese von der klassi-
zistischen Ästhetik einst mißachtete Kunstepoche gewendet hat. In den Unter-
suchungen Wolfflins, Schmarsows, Strzygowskis, Riegls klingt die neuere Auffassung
bereits mehr oder weniger stark an, und in H. von Geymüllers monumentalem Werk
über die Architektur der Renaissance in Frankreich (1898) ist sie gewissermaßen
praktisch durchgeführt worden. Aber man wird dem Verfasser allerdings zugestehen
müssen, daß er den Gedanken der Einheitlichkeit der Entwicklung mit besonderer
Schärfe und Folgerichtigkeit durchgeführt hat und daß sein Bemühen, sie »auf rein
ideologischem Wege ganz abseits von kultur- und kunstpsychologischer Gewißheit
und Voreiligkeit« nachzuweisen, eine sehr wertvolle und in die Tiefe führende
Bestätigung ihrer Richtigkeit zu geben vermag. Für ihn ist der Piatonismus und
seine harmonistische Weltanschauung das eigentlich lebenspendende Element der
Renaissance; der platonische Eros, als Korrelat zu der Liebe und Güte Gottes
empfunden, »die Liebe als ästhetische Grundidee« bedeuten den unvergleichlichen
Wertzuwachs des künstlerischen Denkens im 15. Jahrhundert. Der Fortschritt voll-
zieht sich also, prinzipiell ausgedrückt, in dem Übergang vom Aristotelismus des
Mittelalters zum Piatonismus, von dem impressionistischen Aufnehmen der Naturein-
drücke zu einem Zusammensehen in einer Sinnbildlichkeit (Mona-
lisa, Mediceergräber), zum Hineinsehen einer Idee in die Form. Michelangelo
ist der Wendepunkt, um ihn und L. B. Alberti, in der Architektur sein eigentlicher
Vorläufer, und ihre Werke dreht sich die Einzelbetrachtung in allen drei Kapiteln
fast ausschließlich; Leonardo tritt zurück, Correggio wird kaum erwähnt. Die Ana-
lysen des Juliusgrabes, der Mediceerkapelle, der Sixtinischen Decke enthalten sehr
viel Gutes und Feines, neben einzelnem, das auf Schrauben gestellt erscheint; so
wenn uns die beiden Mediceerstatuen als Repräsentanten der platonischen »Seelen-
rosse«, Wille und Geist präsentiert werden; »hier der reine Wille . . ., dort die
reine Betrachtung . . .« heißt es (S. 61). Als das kunstgeschichtlich anregendste
Kapitel erscheint mir das zweite mit seiner eindringlichen Behandlung Albertis,
dessen analogische Idee vom baukünstlerischen Erzeugnis als »Lebewesen«, dessen
Betonung der Kontrastwirkung und Rücksichtnahme auf den Beleuchtungsfaktor ihn
nach dem Verfasser ebenso zu einem Vorläufer des Barocks stempeln, wie seine
Ausgestaltung der Fassade von S. Francesco zu Rimini als dekorative Schauseite
und die Anlage von S. Sebastiano zu Mantua im griechischen Kreuz, aber mit der
Keimidee der Zweiturmfassade u. a. m. — St. Andrea zu Mantua, als ein Vorbild
von St. Peter und il Gesü in Rom längst anerkannt, lenkt die Betrachtung des
Verfassers dann wieder auf Michelangelo zurück, dessen Peterskuppel, in ihrem Ver-
hältnis zu Brunelleschis und Bramantes Kuppelbauten sorgfältig erwogen, sich als
 
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