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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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BESPRECHUNGEN. 133

Novalis spricht von der akustischen Natur der Seele. Wie scharf er absolute Musik
und Kunstmusik trennt, zeigen seine Worte, die Hubert gelegentlich der Formal-
ästhetik anführt. »Die eigentliche sichtbare Musik sind die Arabesken, Muster, Or-
namente«. Die Töne sind dem Schüler Jacob Böhmes nur eine äußerliche Offen-
barung der Musik. Hier steigert sich die Musikästhetik ins Metaphysische, dem
sich die Romantik auch von anderer Seite nähert. Ein Kapitel Huberts über Musik,
Philosophie und Mystik knüpft an den alten Streit zwischen Denken und Sprechen
an. Der sehnsüchtige Erkenntnisdrang führt den romantischen Geist in die ver-
borgensten Tiefen alles Seins. Die Sprache kann als Ausdruck der gewonnenen
Anschauungen nicht mehr genügen. Man besinnt sich auf ihren irrationalen Teil,
auf den musikalischen Klang. Die unsinnlichere Musik, die von allen Künsten dem
Absoluten am nächsten steht, wird Ausdrucksmittel der Philosophie. Hier scheinen
mir die Punkte zu sein, an denen romantisches Denken hinüberleitet zur Meta-
physik Schopenhauers.

Von solchen Anschauungen öffnet sich der Weg zu Anerkennung und tief-
innerstem Verständnis der Instrumentalmusik. Novalis meint: »Sonaten, Sympho-
nien, Fugen, Variationen — das ist eigentliche Musik.« Folgende Worte Tiecks,
die Hubert zitiert, kann man anknüpfen sowohl aii Kants »uninteressiertes Wohl-
gefallen« als weiterführen zu Schopenhauer: »In der Instrumentalmusik aber ist die
Kunst unabhängig und frei, sie schreibt sich nur selbst ihre Gesetze vor, sie phanta-
siert spielend und ohne Zweck, und doch erfüllt und erreicht sie den höchsten, sie
folgt ganz ihren dunklen Trieben, und drückt das Tiefste und Wunderbarste in
ihren Tändeleien aus.« Frei von der Einseitigkeit, in der Musik nur Idealisierung
des sprachlichen Ausdrucks zu sehen, gelangen die romantischen Dichter dazu, die
Sprache, verbunden mit der menschlichen Stimme, bewußt als Musikinstrument auf-
zufassen, — ein Gedanke, den die Neuromantiker aus dem Kreise Stefan Georges zum
Äußersten verfolgen. — Und wenn für Tieck schließlich das künstlerische Orchester
zu einem Teil des natürlichen wird, in welchem Nachtigallenschlag und Waldes-
rauschen, das Murmeln unterirdischer Quellen und die Musik der Sterne und des
Mondscheins ihren vollberechtigten Platz einnehmen und in der romantischen Phan-
tasie zauberhafte Symphonien erklingen lassen, so scheint mir diese musikalische
Durchdringung des Seins auf das geschlossene Weltbild des Romantikers zu deuten.
Das Absolute, als dessen eines Attribut man das Musikalische bezeichnen könnte,
spricht sich aus in der gesamten Erscheinungswelt, wie der Mensch das in ihm
vorhandene Singen und Klingen umsetzt in Gesangs- oder Instrumentaltöne und so
im Kunstwerk als schöpferischer Prometheus Rhythmus und Gesetzmäßigkeit des
Alls wiederholt. »Die musikalischen Verhältnisse scheinen mir recht eigentlich die
Grundverhältnisse der Natur zu sein«, sagt ein Fragment von Novalis.

Aus einer solchen Weltanschauung, aus dem Streben nach künstlerischem Mo-
nismus, aus dem Organismusgedanken der Zeit, ließe sich die Bedeutung der Musik
ohne Gewaltsamkeit ableiten. Auch die Raffiniertheiten der späteren Romantik,
die Hubert einmal anführt, lassen sich von hier aus erklären, z. B. das Naturgefühl
E. T. A. Hoffmanns, das sich bisweilen in ganz bestimmten Tonarten bewegt.

Vor allem fügt sich diesem Weltbild die Musikästhetik nach mathematisch-ver-
standesmäßigen Prinzipien ein. Wenn Hubert die Elemente der romantischen
Musikbetrachtung entwickelt, so muß er selbst erkennen, daß, im Gegensatz zur
vorangehenden Generation, immer stärker die formale Richtung betont wird. Er
gibt zu, daß bei Novalis wie bei Friedrich Schlegel nicht allein die Macht des
passiven Musikerlebens und von dessen ekstatischer Wiedergabe vorherrscht, son-
dern daß der Gedanke über das Wesen der Musik als Kunst, daß die philosophische
 
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