Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0140

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
134 BESPRECHUNGEN.

Ästhetik zu Worte kommt. — Selbst der Gefühlvollste, Mystischste des Freundes-
kreises, Wackenroder, kann sich dem — wenn auch widerstrebend — nicht ver-
schließen. In den Phantasien fühlt er sich gezwungen, anzuerkennen, daß auch die
Musik beherrscht wird von den Formeln einer das All durchdringenden Macht:
»Der einfarbige Lichtstrahl des Schalls ist in ein buntes, funkelndes Kunstfeuer zer-
splittert, worin alle Farben des Regenbogens schimmern; dies konnte aber nicht
anders geschehen, als daß zuvor mehrere weise Männer in die Orakelhöhlen der
verborgensten Wissenschaften hinunterstiegen, wo die allzeugende Natur selbst
ihnen die Urgesetze des Tons enthüllte. Aus diesen geheimnisvollen Grüften
brachten sie die neue Lehre, in tiefsinnigen Zahlen geschiieben, ans Tageslicht und
setzten hiernach eine feste weisheitsvolle Ordnung von vielfachen einzelnen Tönen
zusammen, welche die reiche Quelle ist, aus der die Meister die mannigfaltigsten
Tonarten schöpfen. — Das Dunkle und Unbeschreibliche aber, welches in der Wir-
kung des Tones verborgen liegt und welches bei keiner anderen Kunst zu finden
ist, hat durch das System eine wunderbare Bedeutsamkeit gewonnen.« E. T. A. Hoff-
mann erkennt mit geheimnisvollem Schauer die mystischen Regeln des Kontra-
punktes an: »Musik. — Mit Grausen nenn ich dich! — Dich in Tönen ausgesprochene
Sanskritta der Natur!« Also Musik ein Wegweiser zum Wesen der Natur, zu etwas
Immanentem, nicht Jenseitigem! — Auch Schelling wäre hier einzufügen. Durch ihn
erfährt nicht nur die romantische Weltanschauung, die in nächster Nähe des Neu-
platonismus steht, eine schärfere Beleuchtung, sondern auch die Musikanschauung
seines Kreises wird von ihm systematisiert. Im einzelnen hierauf einzugehen würde
viel zu weit führen. Die Kapitel über Schelling am Ende von Huberts Buch be-
finden sich am stärksten im Stadium des Werdens. In der Hauptsache bestehen
sie aus Exzerpten mit Randbemerkungen. Die Stellung, die Schellings Philosophie
zur allgemein romantischen zugewiesen wird, fordert manches Fragezeichen heraus.
Wohl nicht nur seine Transzendentalphilosophie, sondern auch in bedeutendem
Maße seine Naturphilosophie weist wechselseitige Anregung mit den romantischen
Freunden und ihrer Dichtung auf. Gegen die Behauptung: Schelling sei im Weiter-
schreiten zur Identitätsphilosophie nicht mehr Romantiker, lassen sich unter anderen
Hayms Ausführungen stellen, die Schellings Philosophieren mit dem Identitätssystem
auf der Höhe romantischer Tendenzen angelangt sehen. Klar wird aus der Ästhetik
Schellings herausgehoben, daß ihm die Lyrik noch die höhere Potenz der Musik
bedeutet, daß aber an diese philosophisch begründete Theorie die Absage an die
bloße Affektenlehre, das Problem von Musik und Sprache zu knüpfen ist.

Gegen manche Ausführungen Huberts, die die passive rauschähnliche Hingabe
an die Musik in den Vordergrund stellen, erhellen solche formale romantische Be-
trachtungen die Synthese, die die Romantik bildet, aus Kants Betonung der mensch-
lichen Vernunft und aus dem Gefühlsüberschwang der Genieperiode am Ende des
18. Jahrhunderts. Oft bedenkt Hubert nicht, daß philosophische Ästhetik bei pas-
sivem Musikgenießen, beim dionysischen Rausch überhaupt ausgeschlossen ist.
Wohl erwähnt er den Gegensatz von Romantik und Sturm und Drang, der sich in
unklaren Ahnungen und zügelloser Phantasie verlor, wohingegen die Romantik
gerade sich müht, in diese dunklen Seiten des Lebens philosophisches Licht zu
tragen. Dennoch lassen sich die meisten seiner Äußerungen eher für diesen Sturm
und Drang in Anspruch nehmen. Im Interesse seines Gedankenganges, die Musik
aus den sentimentalischen, mystischen, auf die Nachtseiten des Lebens gerichteten
Empfindungen des Romantikers abzuleiten, versäumt er den Hinweis auf die Kehr-
seite dieser Eigenschaften, die Lebenstüchtigkeit, den Wunsch, mit der Vernunft das
Reich des Gefühls zu durchforschen. Nur bedingt sind Aussprüche anzuwenden
 
Annotationen