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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0145

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BESPRECHUNGEN. 139

Libri decem de re aedificatoria umschließen sein Lebenswerk. Das ist nicht ein Kon-
glomerat von praktischen Anweisungen und historischen Lesefrüchten, wie es so
viele Traktate der Renaissance sind, sondern abgesehen von der wohldurchgliederten
Behandlung der Baukunst beansprucht dieses Werk einen Platz in der Entwicklung
der Ästhetik der Neuzeit.

Aus all dem erhellt, wie nötig eine leichter zugängliche Ausgabe dieser Schrift
ist. Diesem empfindlichen Mangel hat Max Theuer abzuhelfen gesucht in einer
— das sei gleich gesagt — liebevollen und gelungenen Übersetzung. Alberti ist
nämlich nichts weniger als leicht zu übertragen. Allgemein wird er als einer der
besten Stilisten gerühmt und sichtlich legt er Wert auf eleganten Ausdruck. In
taciteischer Knappheit und Prägnanz sucht er den spröden Stoff zu meistern, und
zudem muß er sich noch eine eigene Terminologie schaffen. In solchem Fall ist
die sorgfältige und gewissenhafte Übersetzung Theuers kein geringes Verdienst.
Von irgendwelchen Kürzungen, Freiheiten oder dergleichen, die den Wert der Aus-
gabe natürlich illusorisch gemacht hätten, habe ich nichts bemerkt. Die Übertragung
vermag wirklich den schwierigen Urtext zu ersetzen, allerdings mit einer Einschrän-
kung: ich meine jene Kapitel, in denen Alberti seine Ästhetik entwickelt. Ohne ganz
eingehende Versenkung in die Struktur Albertischen Denkens, ohne Kenntnis seiner
antiken Vorbilder ist zuweilen eine wahrhaft sinngemäße, nicht nur wortähnliche
Übertragung einfach unmöglich. Wie mir die italienischen Übersetzungen zeigten,
fielen auch seinen Zeitgenossen einige dieser Stellen schon schwer. Unrecht wäre
es darum, wegen dieser Entgleisungen den Wert des Ganzen schmälern zu wollen.
Da sobald wohl nicht eine neue Auflage oder Ausgabe des Werkes zu erwarten
ist, so dürfte es der Brauchbarkeit von Theuers entsagungsvoller Arbeit zustatten
kommen, die wichtigsten Stellen durchzusprechen.

Alberti hatte gar nicht vor, eine Ästhetik abzufassen. Aber gerade darum ist
es von so symptomatischer Bedeutung, zu erkennen, wie er zu ihr gedrängt wurde.
So wurde er fast wider Willen der erste Ästhetiker der Neuzeit. Was er aber mit
voller Bewußtheit wollte, war eine kunstwissenschaftliche Fundierung der Baukunst,
ähnlich wie er es vorher schon für die Malerei versucht hatte. Er beginnt sein
Werk mit der Besprechung der Risse, läßt sich dann über die Baustoffe, das Bauen,
über Anlagen allgemeiner und besonderer Art nicht gerade allzu knapp aus. So
folgt er scheinbar Vitruv, indem er die firmitas und utilitas abhandelt. Aber im
einzelnen hatte er sich recht selbständig gezeigt. Nun er zu dem letzten Teil der
Disposition des Römers kommt, zur venustas, sieht er sich ganz auf sich selbst ge-
stellt. Vitruv versagt seinen Ansprüchen gegenüber gänzlich, auch irgendwelche
anderen etwa metaphysischen Systeme lehnt er ab. Erst an diesem Punkt entwickelt
er seine ästhetischen Überzeugungen als Grundlegung seiner kunstwissenschaftlichen
Überlegungen. Durch leichte Hinweise und Vorandeutungen, die an wichtigen
Stellen durch die ersten fünf Bücher zerstreut sind, hat er wohlüberlegt den Leser
an das Problem herangeführt, wie es überhaupt seine Art der Darstellung ist, den
Leser möglichst selbsttätig zu erhalten. Im sechsten Buch nun enthüllt er das
Problem. »Die Grundsätze umfassen nun einesteils die Schönheit und den Schmuck
der gesamten Bauwerke, andernteils beziehen sie sich nur auf die einzelnen Glieder*
(VI, 3, S. 299). Nun folgt die entscheidende Einsicht: »Prima ex media sunt philo-
sophia excerpta, et ad artis istius modum viamque dirigendam et conformandam adacta,
proxima vero ex cognitione quam diximus ad philosophiae normam — ut ita loquar — do-
iata artis seriem producere.« Theuer überträgt: »Jene ersteren sind unmittelbar der
Philosophie entlehnt und der Art und Weise unserer Kunst angepaßt.« Adacta heißt
bestimmt, besser wäre adigenda, nämlich anzuwenden; der Sinn ist: die Grundsätze
 
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